Es wird weniger herumgeschrien

Wer hat in Zukunft die Macht über die Bühne? Zum 20. Mal kommen junge Theatertalente beim „Körber Studio Junge Regie“ in Hamburg zusammen

Am Steuer kann nur eine:r sitzen – im Theater sind andere Rollenverteilungen möglich: „I’m Thinking of Ending Things“ von Iain Reid, Regie: Sophie Glaser, Theaterakademie Hamburg Foto: Viktoria Kuehne

Von Jens Fischer

Regie im Jahr 2024? Das heißt, die Macht zu haben, etwas zur Sprache zu bringen, in Gemeinschaft zu träumen, sich als Gruppe auf den Weg ins Ungewisse zu machen, eine Potenzialität zu ermöglichen oder die praktische Umsetzung von Nachdenken: So äußern sich junge Theatermacher:innen in einem Video-Clip über ihren frisch ausstudierten Beruf. Noch bis Sonntag sind sie nach Hamburg geladen zum „Körber Studio Junge Regie“.

Jede der teilnehmenden 13 Hochschulen in Deutschland, Österreich, der Schweiz und einem Gastland darf selbst bestimmen, welche Produktion ihres Hauses zu dem Festival fahren darf. Ausgewählt wird also, was am besten vermittelt, wie die Institutionen gern gesehen werden möchte. Die Gastspiele sind daher auch eine Möglichkeit für Studieninteressierte, sich ein Bild von den Institutionen zu machen. Jetzt feiert die Veranstaltung ihr 20. Mal – fragte zur Eröffnung in drei Panels nach, eben, der Entwicklung des Regiebegriffs.

Historisch begann Regieführen als Verwaltungsjob für die Probenorganisation und Aufführungsabwicklung. Autor:in einer Inszenierung zu sein, die Texte zu interpretieren, künstlerisch zu gestalten, sich also von der Literatur zu emanzipieren: Das ist erst ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts möglich – und es verselbstständigte sich seither. In der Nachkriegszeit wurde Regiemacht übermächtig, die Bühnenkunst gleich ganz zum Regietheater erklärt, was bis zum Geniekult reichte.

Die Dramaturgin Eva-Maria Voigtländer erinnerte sich nun auf dem Podium der Körber-Stiftung in der Hamburger Speicherstadt daran, noch unter „ihrer Heiligkeit“ gedient zu haben: Jürgen Flimm, von 1985 bis 2000 Intendant des Thalia-Theaters. Dessen Entscheidungen waren nie anzuzweifeln – aber häufig auch gut. Der autoritäre Führungsstil sei heute nicht mehr haltbar, so Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda in seinem Geburtstagsständchen: Ein faires Mitein­ander werde angestrebt. Regisseurin Lisa Nielebock, Regie-Professorin an der Essener Folkwang-Uni, erläuterte, es sei zwischen Regisseur:in und Spielenden immer wieder neu auszuhandeln, wie Verantwortung zu übernehmen sei, also eine Führungsrolle und damit Macht auszuüben, ohne sie zu missbrauchen.

Aber es gibt sie immer noch, die gernegroßen Schreihälse und sich aufplusternden Oberbefehlshaber; diverse Namen sind der Redaktion bekannt. Der Druck, immer das Originalgenie und der Bestimmer sein zu müssen, habe nachgelassen, so Dramaturgin Voigtländer.

„Regie geht auch ohne Regisseur:in“, hieß es gar auf dem Podium. Voigtländer definierte die gegenwärtige Haltung als „kollektives Arbeiten, aber arbeitsteilig“. Was das konkret bedeutet? Da rangen die anwesenden Studierenden, Lehrenden und Regieführenden nach Worten: „Die Regie geht weg vom Vertrauen auf den Text, entwickelt mehr Vertrauen ins Bild“, so Nielebock. Es gebe weniger Dialektik, weniger Fragen auf der Bühne, dafür immer mehr Regisseur:innen, die mit dem Schauspielteam auch Kreateur:innen des Textes seien. Von „ko-kreativem Arbeiten“ sprach auch Dortmunds Sprechtheaterleiterin Julia Wissert: wie „ein Dirigent und Orchester, die gemeinsam versuchen, die am schönsten klingende Musik zu schaffen“.

Von „ko-kreativem Arbeiten“ sprach die Dortmunder Sprechtheaterleiterin Julia Wissert: wie „Dirigent und Orchester, die gemeinsam versuchen, die am schönsten klingende Musik zu schaffen“

Arbeit auf Augenhöhe in nicht hierarchischen Kollektiven funktioniere – man müsse es allerdings trainieren mit einer nach allen Seiten offenen Erkundung der theatralen Möglichkeiten. Diese Praxis sei das Entscheidende in der Ausbildung, da waren sich nun alle einig. Was gehört noch zum Regieführen? „Zuhören und gestalten können“, sagte Nielebock. Es brauche herausragende Kommunikationsfähigkeiten, Entscheidungsmut, Intuition, Empathie und souveränes Handwerk. Das zu lernen, gebe Sicherheit, betonte die Berliner Regie-Studentin Amelie von Godin. Da hakte Theaterleiterin Wissert ein: Regiehandwerk habe die Macht, für Akzeptanz zu sorgen, könne aber auch ausgrenzen. Wer etwa andere als die am europäischen Theater etablierten Herangehensweisen wähle, dem werde schnell die Professionalität abgesprochen.

Kollektivismus in Vollendung präsentiert am Freitag eine Bachelor-Abschlussinszenierung des Hildesheimer Instituts für Medien, Theater und Populäre Kultur: In „Regenmaschine“ sind Marci Hilma Friebe, Kaija Knauer und Rabea Porsch nicht nur die Performerinnen, sondern auch für Konzept, Text, Regie und Dramaturgie zuständig. Auf der Suche nach Darstellungsmöglichkeiten des Klimawandels wollen sie den Themenkomplex „Wasser“ szenisch untersuchen, obwohl oder gerade weil Wasser „in seiner Materialität im Bühnenraum nicht willkommen zu sein scheint“.

„Körber Studio Junge Regie“: bis So, 9. 6., Hamburg, diverse Orte. Programm unter https://t1p.de/xuoii