Straßenhunde in Istanbul: Hundeasyl oder Einschläfern?

Wenn Straßenhunde keine Adoptiveltern finden, müssen sie dran glauben. Ein neues Gesetz der Erdoğan-Regierung sorgt in der Türkei für Empörung.

Brauner Hund auf einer Straße mit Fussgängern

Streunender Hund in Istanbul Foto: Dilara Senkaya/reuters

ISTANBUL taz | Ayşe Hanim, eine Nachbarin, die sich in unserem Viertel besonders um das Wohl der Tiere verdient gemacht hat, kann es nicht fassen: „Die wollen alle Hunde umbringen. Das dürfen wir nicht zulassen“. Die, das ist die türkische Regierung, die in diesen Tagen ein Gesetz ins Parlament gebracht hat, das die Tötung von Straßenhunden im großen Stil vorsieht.

Wohl kaum ein Gesetz der Erdoğan-Regierung hat bisher für so viel öffentliche Empörung gesorgt wie das Vorhaben, „massenweise Hunde zu töten“, wie Ayşe sagt. Der Verband der TierärztInnen hat eine sehr erfolgreiche Unterschriftenkampagne gegen das Vorhaben gestartet, weil „unsere tierärztliche Ethik mit dem massenhaften Töten von Hunden unvereinbar ist“, wie sie sagen.

Sämtliche Tierschutzvereine laufen Sturm gegen das Vorhaben, selbst in den Kommunikationsforen der Auslandspresse ist die Hunde-Euthanasie ein Thema – persönlicher Einsatz gegen das „Einschläferungsgesetz“ sei nun gefordert. Allen internationalen und nationalen Krisen zum Trotz, kaum ein Thema erregt die türkische Öffentlichkeit derzeit mehr als der beabsichtigte „Mord“ an unseren Hunden. Die Regierung Erdoğan ist in Erklärungsnot.

Hunde stellen angeblich Gefahr für Sicherheit dar

Der zuständige Justizminister Yılmaz Tunç rechtfertigt das Gesetz mit der Gefahr, die die herrenlosen Straßenhunde für Kinder und ältere Leute darstellten. Immer wieder käme es zu schweren Zwischenfällen, da könne man nicht untätig bleiben. Konkret sieht das Gesetz vor, dass Hunde aus den überfüllten staatlichen oder kommunalen Hundeasylen für einen Monat per Internet zur Adoption angeboten werden und die Hunde, die dann keine neuen BesitzerInnen finden, eingeschläfert werden.

Die freien Plätze sollen dann mit eingefangenen Straßenhunden wieder aufgefüllt werden. Diese böte man wiederum zur Adoption an, um die übriggebliebenen anschließend ebenfalls zu töten. Das solle im Prinzip so weitergehen, bis das Problem der Straßenhunde gelöst sei.

Straßenhunde sind in den großen Städten der Türkei, allen voran Istanbul, seit Jahrhunderten ein Problem. Während Katzen allgemein geliebt werden, gelten Hunde im Koran als unrein und sind für gläubige Muslime ein Ärgernis. In osmanischer Zeit sollen Hunde eingefangen und auf eine unbewohnte Insel gebracht worden sein.

Insofern ist es auch kein Zufall, dass die islamische Erdoğan-Regierung ein Hunde-Euthanasieprogramm auf den Weg bringen will, was insbesondere den säkularen Teil der Gesellschaft aufregt. Dieser Konflikt überschattet das reale Problem und erschwert eine angemessene Lösung.

Sterilisation oder Hundeasyl als Alternativen

Tatsächlich kann es bedrohlich sein, wenn einem auf der Straße ein Rudel Hunde begegnet, das wild kläffend sein Revier verteidigt. Vor allem, da ihre Zahl kontinuierlich steigt. Nach offiziellen Angaben leben in der Türkei aktuell rund vier Millionen streunende Hunde.Tierschützer schlagen Alternativen vor: Man solle die Tiere einfangen, sterilisieren und wieder laufen lassen. Außerdem brauche es mehr Einrichtungen, in denen Hunde geschützt leben können.

In dem Stadtviertel, in dem ich lebe, haben engagierte Tierschützerinnen – tatsächlich sind es hauptsächlich Frauen – erst einmal für alle Streuner Hundehalsbänder gekauft, damit sie aussehen, als hätten sie Besitzer, um sie so vor Hundefängern zu schützen.

Es gibt aber auch die Idee, am Rande eines kleinen Parks selbst eine Art Hunde­asyl aufzubauen, das dann von Leuten aus dem Viertel ehrenamtlich betreut wird. Und die Tierschützerinnen wollen dafür sorgen, dass möglichst viele Hunde sterilisiert werden, um die Zahl streunender Tiere zukünftig zu verringern.

Bei der Diskussion im Parlament soll nun eine Balance zwischen der Sicherheit für die Bevölkerung und dem Tierwohl gefunden werden, sagt der Minister. Beispielsweise indem man sich auf besonders aggressive Tiere konzentriert. Das „Mordgesetz“ könnte der Regierung noch schwer auf die Füße fallen.

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