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Diskussion über Zustand der DemokratieKrise ist doch normal

Ruinieren die sozialen Medien die Demokratie? HistorikerInnen geben in Bielefeld Entwarnung. Der Soziologe Steffen Mau sieht das anders.

Beschädigtes Wahlplakat: Wut statt Debatte? Foto: Anette Riedl/dpa

Die sozialen Medien stehen unter Verdacht, der Demokratie zu schaden. Die Demokratisierung und Öffnung des Diskurses erscheint paradoxerweise als Gefahr für die Demokratie. Ist das ein neues Phänomen? Wie sehen „Öffentlichkeit und Demokratie“ aus historischer Sicht aus, so die Frage der vierten Bielefelder Debatte zur Zeitgeschichte.

Die Historikerin Ute Daniel, Verfasserin einschlägiger Werke zum Verhältnis von Medien und Politik, gab Entwarnung. Im 18. Jahrhundert hätten Romane als Gefahr für die öffentliche Ordnung gegolten. Immer wenn Medien als Problembär identifiziert würden, seien eher andere als desasterhaft empfundene Phänomene gemeint.

Auch in der Weimarer Republik habe es in der Presse schon Shitstorms, Beleidigungen bis hin zum Mordaufruf gegeben. Nichts Neues also. „Die Demokratie geht unter, seit es sie gibt“, so Daniel. Das wurde quasi als Beruhigung intoniert. Nicht nur wegen des bekannten Endes der Weimarer Republik kann man zweifeln, ob der tiefenentspannte historische Rückblick das aktuelle Drama der Demokratie vollständig erfasst.

Der Historiker Till van Rahden skizzierte in einem launigen Vortrag die deutsche Demokratiekrise als Ausdruck einer bundesdeutschen Konsensfixierung. Es mangele an Lust an hartem Streit, die es in den angelsächsischen Ländern gebe. Die Demokratiekrise als gefühlte Gefahr nach den stressarmen Merkel-Jahren?

Keine einfachen Analogieschlüsse

Auch van Rahden, Autor des lesenswerten Essays „Demokratie als Lebenswelt“, gab Entwarnung. Die digitale Beschleunigung schrumpfte bei ihm zu einer Variante des Bekannten. Früher habe es eben drei tägliche Ausgaben der großen Zeitungen gegeben. Demokratie sei halt „immer in der Krise“.

Das wirkte dann doch etwas salopp. Es ist zwar eine Tugend von HistorikerInnen, Analogieschlüsse mit Ausrufezeichen – 1933! – zu meiden, die als Dramatisierungsmarker taugen, aber wenig von den heutigen Gereiztheiten erklären. Verständlich ist auch, wenn sich Vergangenheitsexperten bei Zukunftsprognosen generell für unzuständig erklären. Aber die Demokratiekrise als Wiederkehr des Immergleichen zu malen, ist etwas unscharf.

Die Frage, ob der aktuelle bundesdeutsche Rechtsextremismus in der deutschen Geschichte wurzelt oder eine europäische Normalisierung ist, tauchte erst gar nicht auf. Die Zeitgeschichte wirkte in Bielefeld etwas überfragt. Kein Analogieschluss ist auch keine Lösung.

Erfreulicherweise war auch der Soziologe Steffen Mau geladen, der die neuen Widersprüche zwischen sozialen Medien und Demokratie ausmaß. In den Blasen der sozialen Medien gebe es nur „abwertende oder solidarische Kommunikation“. Die algorithmische Prämierung von Polarisierung habe handfeste Folgen. Studien in den USA zeigen, dass Demokraten und Republikaner, die viel im Netz unterwegs sind, die andere Seite besonders inständig verachten.

Affekte ausbeuten

Der Effekt: Die Mitte wird im Netz unsichtbar. Das abwägende Sowohl-als-auch ist ja nicht nur Sehnsuchtsort der leidenschaftsskeptischen bundesdeutschen Politik seit 1949, sondern auch nötig, um Kompromisse zu ermöglichen.

Zudem geht der Aufstieg digitaler Kommunikation mitsamt der empörungsbereiten, angedockten Ich-AGs einher mit dem Abstieg vermittelnder Kollektivakteure wie Parteien, Kirchen, Gewerkschaften. Dass Medien Affekte ausbeuten und katalysieren, mag nicht völlig neu sein, so Steffen Maus Wink Richtung Zeitgeschichte, ist aber eben stärker als früher.

Von Niklas Luhmann stammt die Formel, dass komplexe, arbeitsteilige, hochdifferenzierte Systeme Demokratien als Herrschaftsform brauchen, weil die lernfähiger und flexibler als Diktaturen reagieren können. Auf diesen robusten Modernitätsoptimismus fällt aber ein Schatten.

Demokratien brauchen eine funktionsfähige, räsonierende Öffentlichkeit – als Kontrolle und Legitimationsraum. Ohne Rückkopplung von Regierungshandeln mit der Bürgerschaft wird Demokratie zur Fassade. Was aber, wenn alles so komplex ist, dass die aufgeklärte Bürgerschaft nicht mehr durchblickt?

Digitaler Dschungel

Ein Beispiel für diese Störung lieferte Thomas Wischmeyer, Jurist und Experte für digitales Recht. Er ratterte alle jene Gesetze und Regeln herunter, mit denen die EU den digitalen Dschungel seit fünf Jahren einzuhegen versucht, von der Free-Flow-of-Data-Verordnung über den Data Act bis zur neuen KI-Verordnung. Von allem dem hatten die Meisten eher vage Vorstellungen. Man schwieg beeindruckt, weil ahnungslos.

Dass nur die Experten selbst die dickleibigen Regelwerke, mit denen Plattformen demokratiekompatibel gemacht werden sollen, begreifen, illustriert ein Kernproblem der neuen Demokratiekrise: die Expertokratie. Wenn zentrale Fragen nur noch von Fachleuten verstanden und gelöst werden, bleibt dem räsonierenden Publikum nur der Platz als staunender (oder empörter) Zuschauer.

Die optimistische Gleichung, dass die liberale Demokratie die aufgeklärte Öffentlichkeit braucht und umgekehrt, verdampft irgendwo im Nebel des politischen Mehrebenensystems.

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