Kinder brauchen Freiheiten: Eis, Eis, Baby

Kleine Freiheiten sind wichtig für Kinder. Auch für unsere Ko­lum­nis­t:in war es prägend, sich in der Stadt selbstständig ein Eis kaufen zu dürfen.

Ein Eis mit drei Kugeln: gelb, rot und blau

Endlich ein Eis mit drei Kugeln Foto: imago

Ich weiß nicht, wie oft ich in letzter Zeit in Berlin an Eisdielen vorbeigelaufen bin, wo groß „Nur Kartenzahlung“ dransteht, oder wahlweise in der Verneinung „Kein Bargeld“. Wie bitte, was?

Eine der tollsten Sachen an den Kölner Sommern meiner Kindheit war es, einmal quer durch Ehrenfeld zu laufen, um am Eisladen am Brüsseler Platz ein 50-Pfennig-Stück auf den Tresen zu legen und ein Bällchen Zitroneneis zu bestellen.

Ein anderer Eisladen um die Ecke von unserem Kinderhort war dafür berüchtigt, dass wir dort nach dem Sankt Martinszug durch den Stadtgarten ein Eis bekamen, wenn wir im November als kleine Gruppe mit selbst gebastelten Laternen um die Häuser zogen und laut „Hier wohnt ein reicher Mann, der uns was geben kann!“ krähten. Vorher waren wir schon am Imbiss auf der Venloer Straße mit Pommes mit Majo versorgt worden, danach das Eis, obwohl es draußen kalt war. Geil.

Ich durfte schon mit den älteren Hort­kindern mitlaufen, als ich gerade erst in die erste Klasse gekommen war. Manchmal bekamen wir in den Wohnhäusern, wo wir durch die Treppenhäuser stiefelten und an den Türen klingelten, sogar Kleingeld geschenkt, wenn die Leute vergessen hatten, Süßigkeiten ranzuschaffen. Abends schütteten wir dann unsere Plastiktüten mit den gesammelten Zuckergeschenken auf dem Tisch aus und teilten alles gerecht auf, die Snickers wie das Kleingeld. Wir haben es geliebt.

Kleiner Funken Selbstständigkeit

Ob Eis gegen 50 Pfennig oder Eis für Gesang – wir konnten uns unsere Snacks selbst besorgen, ohne dass unsere Eltern hätten dabei sein müssen, um eine Plastikkarte zu zücken. Nicht dass ich ein großer Fan der kapitalistischen Früherziehung wäre, aber dass Kinder den Gang vom Spielplatz zur Eisdiele vielleicht allein zurücklegen dürfen, um sich zwischen Schokolade und Stracciatella zu entscheiden und dabei einen kleinen Funken der Selbstständigkeit zu spüren, finde ich nicht die schlechteste Idee.

Kindern zuzutrauen, dass sie sich orientieren und durch ihre Umwelt navigieren können, ist so wichtig

Zumal der Verzicht auf Bargeld auch alle Erwachsenen ausschließt, die kein Bankkonto haben. So nach dem biopolitischen Motto, die Menschen, die durch das Raster der Registrierung fallen, können ja gar nicht existieren, also denken wir gar nicht erst an sie.

Als ich das erste Mal allein mit dem Fahrrad zur Grundschule gefahren bin, war ich an der Kreuzung am Hans-Böckler-Platz kurz verwirrt, ob ich rechts oder links lang fahren soll und blieb verunsichert stehen. Ich werde nie vergessen, wie meine Mutter sich kurz danach einfach ganz ruhig neben mich stellte. Da wusste ich plötzlich wieder, wo ich langfahren muss. Sie war zur Sicherheit mitgekommen, ohne dass ich es gemerkt hatte. Danach habe ich den Weg immer gefunden.

Kindern zuzutrauen, dass sie sich mit der Zeit orientieren und durch ihre Umwelt navigieren können – oder eben beim Martinssingen aufeinander aufpassen – ist so unfassbar wichtig. Ich war schon damals stolz, ein Schlüsselkind zu sein, das sich selbst das Mittagessen kocht.

Mein bester Freund war es auch, und wir haben uns immer gegenseitig besucht und unsere neongrünen Schlüsselanhänger geschwungen, die so schöne neongrüne Spiralen formten.

Und wenn wir mal kein Kleingeld hatten, gab es bei ihm zu Hause eine große Tiefkühltruhe mit Cornetto-Hörnchen von Aldi. Erdbeer, Schoko oder Haselnuss.

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Redakteur:in für Kunst in Berlin im taz.Plan. Alle 14 Tage Kolumne Subtext für taz2: Gesellschaft & Medien. Studierte Gender Studies und Europäische Ethnologie in Berlin und den USA und promovierte an der Schnittstelle Queer-Theorie, abstrakte Malerei und Materialität. Als Künstler:in arbeitet Molitor mit Raum, Malerei und Comic. Texte über zeitgenössische Kunst, Genderqueerness, Rassismus, Soziale Bewegungen.

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