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„Roadburn“ in NiederlandenDas etwas andere Metal-Festival

Viele verbinden Metal mit grölenden Männergruppen. Das „Roadburn Festival“ im holländischen Tilburg zeigt, dass es auch anders geht.

Zukunftsbewusste Metaller: Auf dem Roadburn gibt es auch Panel-Diskussionen Foto: Peter Troest / Niels Vinck

Der erste und dann auch bleibende Eindruck, wenn man auf dem Gelände des Roadburn-Festivals im niederländischen Tilburg eintrudelt: Artsyness und Konzeptualität sind in den letzten Jahren tiefer in den Heavy Metal eingegangen. Das Genre spaltet sich zunehmend in einen wertkonservativen Kern und ein freidrehendes Treiben in den Randregionen: Auf dem Wacken-Festival singen Familienväter ein Wochenende lang selig im Chor zu Running Wild und Manowar. Auf dem Roadburn gibt es dagegen Artists in Residence, Auftragskompositionen und Paneldiskussionen mit Titeln wie „Heavy Music Through An Experimental Lense“.

Das Festival startete 1995 in kleinem Rahmen. Seit seiner Expansion in den Nullerjahren lässt sich in Tilburg alljährlich der aktuelle Stand der Dinge im musikalisch extremistisch gestimmten Metal mitschneiden. Das mit rund 4.000 verkauften Tickets nach wir vor überschaubare Festival schert aus dem Hauptstrom des Genres aus: Vier Tage und Nächte schwerster Lärm, meist gitarrendominiert, aber von den Rändern her angesteuert.

Es herrscht also große programmatische Offenheit, die zum Beispiel auch HipHop und Ambient inkludiert, solange sich eine Verbindung zum Metal-Mutterschiff ziehen lässt. In diesem Jahr verbanden gleich mehrere Acts auf der Bühne Noise mit HipHop. Angry Blackmen spielten eine politisierte Auf-die-Fresse-Musik in der Tradition von Public Enemy; live auf dem Roadburn dann mit latent entnervter Verwunderung darüber, dass mindestens 95 Prozent des Publikums weiß sind.

Das US-Trio clipping. – Rapper Daveed Diggs und zwei Nerds am Laptop – wiederum hat in seine Tracks fies übersteuerten Noise und ohrenzerstörende Krachminiaturen eingebaut. Die kanadische Rapperin Backxwash trat als Überraschungsgast auf und zerlegte die größte Konzerthalle des Festivals im Alleingang und mit Black-Sabbath-Samples.

Alles scheint erlaubt, solange es laut ist

Wer einen gemeinsamen Nenner für das musikalisch sehr vielfältige Programm sucht, kommt schnell auf die Idee, dass beim Roadburn-Festival genreübergreifend alles erlaubt ist, solange es nur durch Lautstärke Intensität erzeugt und intensiv ballert. Verkopft-avantgardistisch wirkte auch in diesem Jahr jedenfalls nichts. Eine verdrogt klingende Riot-Grrrrrl-Sludge-Band wie Couch Slut aus New York war bei ihrem zweiten Festivalauftritt in zwei Tagen dann auch unübersehbar hackedicht.

Die Death-Metal-Band Blood Incantation aus Denver spielte ebenfalls zweimal: einmal verpilzten Siebziger-Jahre-Ambient, der nach Tangerine Dream im Vollrausch roch, und dann Samstagnacht ein beeindruckend komplexes und niederwalzendes linientreues Metalset mit Gedonner und grimmigem Geröhre.

Auch für eine kinky Electroband wie Health, die am Merch-Stand Buttplugs, Analplugs, für 40 Euro feilbot, ist Platz im Programm. Dass Lautstärke allein regiert, scheint aber kein notwendiges Auswahlkriterium zu sein. Sonst hätte schließlich der britische Folksänger Richard Dawson gar nicht auftreten dürfen, um, unter anderem, drei abstrakt-spröde und zugleich sehr ergreifende Akustikgitarrensoli zu spielen.

Das Publikum feierte auch seine Musik gröhlend ab, zur sichtbaren Erleichterung Dawsons, der sich eine Träne der Erleichterung aus dem Auge wischte. Das sei überhaupt das Schöne an Roadburn, hatte Daveed Diggs tags zuvor im Gespräch erzählt: Bei den meisten Festivals gehen die Leute zu Bands, die sie schon kennen, beim Roadburn gehen sie gerade zu denen, die sie noch nicht kennen.

Die heilende Kraft der Musik

Kurz danach trat die US-Allstar-Doomband Khanate auf und wuchtete zerquälten und in seiner Unzugänglichkeit und Kälte wirklich fordernden Doommetal von der Bühne in den Saal. Ein in seiner ohrenbetäubenden Negativität beeindruckender Auftritt. Der musikalische Extremismus im Heavy Metal klingt interessanter, seit er nicht mehr von rechten norwegischen Kirchenanzündern – wie von der Band Burzum in den 90ern – propagiert wird, sondern von angenehm sonderbaren, freundlichen Menschen in Schwarz, die über – so ein weiterer Titel eines Roadburn-Panels – „The Healing Power of Heavy Music“ diskutieren.

Dass Musik eine heilende Kraft sei, hatte schon US-Free-Jazz-Saxofonist Albert Ayler behauptet, der sich in Tilburg womöglich wertgeschätzt gefühlt hätte. Schließlich ging es auch in Aylers Spiel um so etwas wie einen Schrei, der von ganz unten nach oben raus will. Man konnte ihn auf dem diesjährigen Festival etwa während des Auftritts von Ragana hören. Das US-Duo, Gitarristin und Schlagzeugerin, brüllte abwechselnd ins Mikrofon und löste damit starke Gefühle im Publikum aus.

Überhaupt kann das Post-Rock-Black-Metal-Duo von der Westküste stellvertretend für eine Tendenz der letzten Jahre stehen: Eine der letzten zwangsheterosexuellen Männerbastionen, der Heavy Metal, wird graduell von seiner Pimmelknechtschaft erlöst. Ragana nennt den brüchigen Song „Unbecoming“ eine „queer anthem“ und die eigene Musik „esoteric sentimental doom“. Bei ihrem Konzert entfaltete das Duo eine Intensität, die die Idee, dass auch Metal eine „healing force of the universe“ sei, sehr plausibel wirken ließ.

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2 Kommentare

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  • Für zwar nicht explizit queeren aber definitiv (und gar nicht graduell) "von Pimmelknechtschaft erlösten" Metal sei ein Blick nach Japan empfohlen. Dort dominieren die Damen das Genre seit ein paar Jahren. Nemophila, Hanabie, Lovebites, Saiseiga, Marys Blood, Hagane, um mal ein paar Namen zum Einstieg zu nennen. Gacharic Spin noch, wenn man die Genre-Grenzen weit fassen mag. Selbst ein Pop-Superstar wie Ado klingt dort zeitweilig ganz schön heavy.

  • Danke für diesen Artikel!

    Es freut mich sehr, dass das "Roadburn" auf dem Radar der taz ist. Ich war das erste Mal 2019 dort und fahre seitdem jedes Jahr, weil ich dort wirklich den Eindruck habe, dass es den Gäst*innen dort um die Musik geht. Ich habe dort noch nie "Schnapsleichen" oder Vergleichbares gesehen und bei Konzerten herrscht in 99% der Fälle wirklich Ruhe aus Respekt vor den Künstler*innen. Das Bedürfnis, Neues zu entdecken, ist hier allgemein sehr groß.

    Was ich auch noch einmal hervor heben wollte, ist die Diversität des Festivals. Im Line-Up sind verhältnismäßig viele "queere" Bands (2024 fallen mir jetzt spontan Backxwash, Uboa und Agriculture ein), 2023 gab es sogar ein Diskussionspanel zum Thema. Ein niederländischer Freund von mir, ein Trans-Mann, bezeichnet das Festival sogar als seinen "safe space", weil die Leute dort tendenziell sehr progressiv und weltoffen sind. Er hat dort am Rande des Festivals sogar seinen Partner geheiratet, die Fotografen des Festivals haben das teilweise mit begleitet.

    Achja, einen Fehler habe ich im Artikel gefunden: Die Band heißt "Blood Incantation". Und ich fand sie auch großartig.