„Es wird viel ausprobiert“

WOHNUNGSGENOSSENSCHAFTEN Manuel Osório führt die Verwaltungsgesellschaft P 99, die Wohnprojekten den Papierkram abnimmt. Ein Gespräch über Konflikte und Fallstricke

■ 52, ist seit 1993 taz-Genosse, war zehn Jahre Vorstand und Geschäftsführer der Falkenried-Genossenschaft, bevor er 1999 die Gesellschaft P 99 gründete.

INTERVIEW: LENA KAISER

Die Gebäudeverwaltung P 99 ist entstanden, weil Hamburger Wohnprojekte ihre Finanzaufgaben abgeben wollten. Gab es damit zu viel Ärger?

Manuel Osório: Eher indirekt. Weil Wohnprojekte ehrenamtlich geführt werden, muss jemand den Bereich der Finanzen übernehmen, und das ist letztlich anstrengend, erfordert Zeit und Kenntnisse. Wer wie viel macht, ist eine klassische Konfliktlinie. Gerade bei der Buchhaltung verschärft sich das, weil die meistens an einer Person hängen bleibt. Dazu kommt das Thema Macht, wenn einer die Finanzen kontrolliert. Wenn man die nach außen verlagert, entspannt sich das. Wir sind manchmal ganz hilfreich, um Diskussionen zu versachlichen, mischen uns aber nicht in gruppendynamische Auseinandersetzungen ein.

Eine Ihrer Leistungen ist das Erstellen von Mahnungen. Brauchen selbstverwaltete Projekte also doch eine disziplinarische Instanz?

Das kommt selten vor. Wir erstellen die Mahnung, gehen aber nur so weit, dass wir den Projekten mitteilen, dass es Leute gibt, die einen Mietrückstand haben. Wir schicken den Mietern auch einen entsprechenden Brief, entscheiden aber nicht, was dann passiert. Das sind Entscheidungen, die die Projekte selber treffen.

Wie wird man einen unliebsamen Mieter los, wenn er Genosse ist?

Es ist selten so, dass einer allein da steht. Meistens sind es zwei Fraktionen, die unterschiedlicher Auffassung sind. Wenn zum Beispiel jemand einen sehr hohen Mietrückstand hat, dann gibt es einen Teil von Leuten, die sagen, das geht zu weit. Andere sehen die persönliche Situation, die plötzliche Arbeitslosigkeit oder andere Probleme. Das ist eine typische Konfliktlinie, die eine Selbstverwaltung austragen muss. Wohnungsgenossenschaften sind aber auch Unternehmen mit rechtlichen Rahmenbedingungen. Das heißt, es gibt einen Vorstand und Mietverträge und Mitgliedschaftsbedingungen. Theoretisch kann natürlich jemand aus der Genossenschaft ausgeschlossen werden und die Wohnung kann gekündigt werden. Das kommt aber extrem selten vor.

Der Trend geht in Richtung Mehrgenerationenhaus. Sind die Wohnprojekte heute eher was fürs Alter?

In den 1980ern waren es junge Punks, die Häuser besetzt haben und aus denen Wohnprojekte entstanden sind. Auch die sind heute natürlich älter geworden. Aber auch die, die Genossenschaften gründen, sind älter. Natürlich finden es viele schön, wenn sie auch mit jüngeren Menschen und Kindern zusammenwohnen, damit man sich nicht nur unter 60- oder 70-Jährigen tummelt.

Kommt das bei den jungen Leuten auch so gut an?

Ich hab nur manchmal gewisse Zweifel, ob das mit den Jungen und Alten so funktioniert, wie man sich das auf dem Papier vorstellt. Trotzdem werden viele Experimente ausprobiert. Da muss man genau hinschauen, ob das, was man ursprünglich geplant hat, tatsächlich läuft. Und was anders läuft und trotzdem gut.

1999 gegründet, betreut sie die Finanzen wie die Buchhaltung, den Jahresabschluss und die genossenschaftliche Pflichtprüfung von rund 1.500 Wohnungen in selbstverwalteten, genossenschaftlichen Wohnprojekten vor allem in Hamburg.

Sie vernetzt darüber hinaus die Projekte miteinander und gibt Wissen über Organisationsstrukturen weiter.  LKA

Wohnprojekte produzieren auch sozialen Ausschluss. Wie kann man vermeiden, dass nur gute Freunde einziehen dürfen?

Bei den kleinen Wohnprojekten hat man erst mal die Leute, die das Projekt gegründet haben und die dann, wenn neue dazukommen, gucken, dass die zu ihnen passen. Da gibt es sicherlich keine große Durchlässigkeit in sozialer Hinsicht. In größeren Projekten wie dem Falkenried gibt es mehr Raum, unterschiedliche Menschen zuzulassen, die dort niemanden kennen. Wenn es ein Kriterium gibt, woran ein Wohnprojekt scheitern kann, ist es die Kommunikationsfähigkeit.

Ein Beispiel?

In Steilshoop gab es, beschwingt von der 68er-Bewegung, eins mit 200 sehr verschiedenen Leuten – darunter Haftentlassenen, kinderreichen Familien, Alleinerziehenden und Studenten. Da sind dann die Studenten mit den proletarischen Familien einkaufen gegangen. In Interviews haben beide Seiten gespiegelt, wie das gelaufen ist. Doch die Kommunikation zwischen den Gruppen hat nicht gut funktioniert. Die Studenten wollten den kinderreichen Familien sagen, was sie einkaufen sollen und wie sie sich ernähren sollen. Viele Projekte versuchen es trotzdem.