orte des wissens
: Gabelstapler für die Wissenschaft

Das Alfred-Wegener-Institut/ Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung hat Ende 2023 in Bremerhaven sein neues Technikum in Betrieb genommen

„Rasmus Willumsen“ ist ein Name, der vielen nichts sagt. Das ist schade. 1930 war der junge Grönländer Teilnehmer der dritten Grönland-Expedition des deutschen Polar- und Geowissenschaftlers Alfred Wegener. Wie Wegener fand er dabei den Tod, auf dem strapaziösen Rückweg von einer Forschungsstation im Inlandseis. Seine Leiche wurde nie gefunden.

Seit Herbst 2023 tritt Willumsen wieder häufiger in Erinnerung. Das weltweit renommierte Alfred-Wegener-Institut/Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) hat sein neues Technikum in Bremerhaven nach Wegeners letztem Begleiter benannt: Rasmus-Willumsen-Haus. Eine schöne Geste. Im Namen der Grundlagenforschung entwickelt und erprobt das AWI hier sein Equipment für den Einsatz in Arktis und Antarktis, in der Tiefsee.

Rund 40 TechnikerInnen und IngenieurInnen arbeiten hier, für AWI-Fachbereiche von der Bio- bis zur Klimawissenschaft. Eine sinnvolle Konzertierung: „Hier können sie sich auf kurzem Weg austauschen“, sagt Biogeoche­mi­kerin Martina Löbl der taz, die Wissenschaftliche Leiterin des Hauses. „Vorher, über die halbe Stadt verteilt, haben sie an Problemen oft allein gebrütet.“ Hinzu kommen, je nach Projekt und Aufgabenstellung, WissenschaftlerInnen von der Physik bis zur Meteorologie.

Besonders imposant ist die Vorbereitungshalle zum Testen von Großgerät. Hier werden auch die Expeditions-Container für das Forschungsschiff „Polarstern“ beladen, bevor sie ins Hafenlager und zum Zoll kommen. Ein Tauchbecken steht bereit; mit Leitungswasser und vier Tonnen Salz simuliert es das Meer. Gleich nebenan ist ein 18 Meter hoher Schacht zum Testen von Eiskernbohrern. „Das mussten wir bisher sehr aufwändig in den Alpen machen, oder auf einem Gletscher in Skandinavien“, sagt Löbl. „Man will ja nicht erst auf Grönland oder in der Antarktis merken, dass das Gerät nicht präzise arbeitet.“

Das Rasmus-Willumsen-Haus enthält Kältelabore für bis zu -80° Celsius, ein Chemielabor, Werk­stätten vom Metall bis zur Elektronik, Lager von der Batterie bis zur Tauchflasche. Es ist eine Welt der Gabelstapler und Kranlasten. Und dann beschreibt Löbl, was derzeit in der Vorbereitungshalle zu sehen ist, von der gepackten Zargeskiste bis zur Palette aus dem Hochregallager, vom Strömungs­messgerät bis zum Unterwasserroboter. „Außerdem liegen da 2.000 Meter Verankerungsseil in großen Rollen.“

Der Antrieb dieser Geschäftigkeit: Die Schaffung neuen Wissens. Wie funktionieren die Ökosysteme des Meeres? Wie verändern sie sich, auch durch uns Menschen? „Ich habe einen wirklich tollen Job“, sagt Löbl, und dass sie das nicht einfach nur so sagt, ist deutlich zu spüren. Selber an Bord eines der Forschungsschiffe ist sie dabei nicht. Sie moderiert an Land, versteht sich als Brücke zwischen Wissenschaft und Technik. Den angrenzenden Yachthafen sieht sie von ihrem Büro aus nicht, das zeigt nach Norden, zur Straße. Aber das stört sie nicht: „Wo ich sitze, ist mir eigentlich egal. Im Prinzip brauche ich nur meinen Laptop.“

Besonders imposant ist die Vorbereitungshalle zum Testen von Großgerät. Hier werden auch die Expeditions-Container für das Forschungsschiff „Polarstern“ beladen

Polar- und Meeresforschung: In Zeiten der Klimakrise, der Offshorebauten und Überfischung, des Tourismus und der Müllteppiche, des Masseneintrags von Dünger und Abwasser, des Bohrens nach Öl und Lärms militärischer Sonare, erhält sie immer größeres Gewicht. Auch für politische, behördliche Entschei­dungen. Die Begehrlichkeiten sind groß, die Ängste auch. Löbl ist das sehr bewusst.

Was Rasmus Willumsen wohl dächte, beträte er das Technikum des Alfred-Wegener-Instituts, mit all seiner Logistik? Vermutlich wäre er fasziniert. Bei Wegener war er Hundeschlittenführer. Harff-Peter Schönherr