Moral da, Punkte weg

UNTERGANGSGEFÜHLE An den direkten Klassenerhalt glaubt Hertha-Spieler Christian Lell nach dem 3:3 in Leverkusen nicht mehr

LEVERKUSEN taz | Thomas, rief der Mann vom Fernsehen, jetzt nochmal zwei schnelle Fragen! Aber Herthas Torwart Thomas Kraft hatte keine Lust, noch ein Interview zu geben zu diesem Spiel, in dem er eine prägende Figur war und das seine Mannschaft dann doch nicht gewonnen hatte. Dieses 3:3 gegen Bayer Leverkusen ließ sich nicht in zwei Fragen abhandeln, das wusste Kraft. Er spitzte die Lippen, sprach eher zu sich als zu dem Fernsehmenschen: „Nö, Schnauze voll jetzt“, und zog seinen Koffer zum Ausgang.

Er wäre fröhlicher gestimmt gewesen, wenn die Spiele der Bundesliga nur 80 Minuten dauern würden. Dann hätten die Berliner 3:2 gewonnen in Leverkusen, und obendrein wäre das Spiel zwischen Wolfsburg und Augsburg 1:1 ausgegangen. In den letzten zehn Minuten kassierten sie aber erst den Ausgleich durch Stefan Kießling und erhielten dann über die Anzeigetafel die Nachricht, dass Augsburg noch ein Tor geschossen hat. Hertha war mit Spielschluss wieder Vorletzter, der Rückstand auf den Tabellen-15. Augsburg beträgt fünf Punkte, dazwischen steht auf dem Relegationsplatz der 1. FC Köln.

In Leverkusen zeigten die Berliner, dass sie sich noch nicht aufgegeben haben. „Man hat gesehen, dass die Mannschaft intakt ist“, sagte Mittelfeldspieler Andreas Ottl. Hertha hatte einen 0:2-Rückstand in ein 3:2 verwandelt, und das sogar in Unterzahl nach der roten Karte gegen Kapitän Kobiashvili. Torwart Kraft parierte beim Stand von 1:2 einen Elfmeter gegen Simon Rolfes, und ein paar Minuten später rannte Kraft weit ins Feld, um seinen Mitspieler Tunay Torun zu schütteln, dass man Sorge haben musste um den jungen Offensivmann. „Er wollte ihn wach machen, das hat ja auch funktioniert“, sagte Trainer Otto Rehhagel. Torun schoss zwei Tore in sieben Minuten, aber die Berliner verspielten ihren Vorsprung wieder. Die Erkenntnis für Rehhagel war dennoch: „Wir haben Moral gezeigt und bewiesen, dass wir wirklich kämpfen.“

Das ist in der Tat ein positives Signal für den alternden Lehrmeister. Mut macht den Berlinern der nächste Gegner, am Wochenende empfangen sie den Tabellenletzten aus Kaiserslautern. Danach spielen sie noch gegen Schalke und Hoffenheim.

Ob die Saison dann vorbei ist? Viele Wege führen zum Klassenerhalt, und die Berliner stellen sich darauf ein, die längere Strecke zu nehmen. „Unser Ziel ist es, in der nächsten Saison in der Bundesliga zu spielen, ob wir das erst in der Relegation schaffen, ist egal“, sagte Kobiashvili. Nach Ansicht seines Kollegen Christian Lell ist der direkte Klassenerhalt nicht mehr zu schaffen: „Die Relegation ist das einzige Ziel“, sagte er, nahm seinen Koffer und ging ebenfalls Richtung Ausgang. HENDRIK BUCHHEISTER