Christa Pfafferott
Zwischen Menschen
: Das Pflänzchen

Da geht er. Schwerfällig. Auf seinem Hinterkopf ein weißer Haarkranz, ein rundes, gerötetes Stück Kopfhaut in der Mitte. Darunter ein roter, dicker Nacken. Vielleicht hatte er zu viel Sonne, vielleicht hat er hohen Blutdruck. Gelbes, sattes Frühlingslicht ergießt sich über den Bürgersteig.

Da geht er. Vielleicht ein Mensch in seinen Sechzigern. Vielleicht ein Mensch, den man sich in einem Kleingarten vorstellen könnte. An einem Grill. In einem Gespräch, in dem er Recht behalten will.

Da geht er. Schnell genug, um das Überholen schwer zu machen, langsam genug, dass es ungeduldig macht, hinter ihm zu gehen. Einmal dreht er sich kurz, ein Blick, der wissen will, was da hinter ihm ist.

Es bleibt also dieser Mensch von hinten. Menschen verraten von hinten mehr von sich als von vorn. Sie zeigen ihren Rücken, offenbaren ihre Haltung.

Da geht er. Seine Jeans fallen unförmig, seine Füße stecken in klobigen Sandalen. Nichts an den Dingen, die um ihn sind, scheinen nach Schönheit ausgesucht. Oder ist es eine Schönheit, die nur er kennt?

Da geht er. Ein schwerer Mensch. Ein fester Mensch. Es ist unrechtens, Menschen, die auf den ersten und auch über einen langen Blick hinweg plump wirken, plumpe Gedanken zu unterstellen. Plumpe Gefühle.

Da geht er. Er hebt seine rechte Faust, eine schwere Faust, eine rote Faust. Er streckt sie zur Seite an die Steinmauer. Dann dreht er seinen Daumen. Ein Pflänzchen kommt hervor. Ein Zweiglein. Eine zarte Spitze lugt aus seiner Hand.

Es ist in diesem Moment, als würde sich etwas öffnen. Als würde wie aus Stein durch einen dünnen Riss etwas Zartes emporsprießen.

Leicht hält der Mensch das Pflänzchen zwischen Daumen und Zeigefinger, dreht es in seiner roten Hand. Er muss es abgezupft haben von einem Strauch. Vielleicht hat er es auch gefunden. Er gleitet mit dem Pflänzchen die Hauswand entlang. Vorsichtig. Grün streift Stein. Als könnte das Grün die Mauer verzaubern. Während er geht, bleibt da jetzt diese Bewegung, diese Berührung. Er sieht nach unten, zu seinem Pflänzchen. Ein Blick, der liebevoll, respektvoll etwas Lebendiges anschaut. Ein kleiner Hund könnte da neben ihm entlanglaufen.

Da geht er. Ein Kind. Ganz bei sich. Ein Kind in seiner Welt. Die Mauer endet, das Kind senkt das Pflänzchen, dreht es leicht, als würde es damit zart der Bewegung eines inneren Gedanken folgen.

Ein Zaun kommt, das Kind hebt wieder die Hand. Streift mit dem Pflänzchen über die Holzlatten. Das Pflänzchen ist kein Pflänzchen. Es ist ein Zauberstab, der verändert, solange er berührt.

Ein Strauch kommt. Seine andere Hand greift nach einem neuen Blättchen. Reibt es vorsichtig zwischen Daumen und Mittelfinger, riecht daran. Belässt dann das Blättchen an seinem Strauch.

Dann scheint es sich zu erinnern, dass da jemand hinter ihm ist. Dass es weitermachen muss, nicht trödeln darf.

Da geht es.

Es hebt sein Pflänzchen wieder, streift damit die nächste Hauswand. Die Sonne wirft ihre Strahlen auf dieses Kind. Es läuft langsam genug, um jede Pflanze zu erkennen. Schnell genug, um nicht zu stören.

Eine Straßenecke kommt. Das Kind biegt ab.

Sandalen. Roter Nacken. Feste Hände. Grünes Pflänzchen.

Dann ist es verschwunden.