Ausgehen und rumstehen von Maria Disman
: Abschied nehmen von der Lieblingsstadt

Wer Berlin kennt, weiß: im Winter meiden, im Sommer bleiben. Doch für mich ist das Gegenteil der Fall. Mein vorerst letztes Wochenende in Berlin, mein erstes Wochenende im Jahr 2024 mit Sonnenstrahlen liegt hinter mir. Das macht den Abschied von meiner deutschen Lieblingsstadt besonders bittersüß. Ich bin alles andere als bereit, in meine Heimat in NRW zurückzukehren. Das Wetter unterstreicht noch einmal mehr, dass es kein perfektes Timing ist, um zu gehen.

Zeit ist sowieso etwas, was zu schnell verfliegt, im Leben generell, aber vor allem wenn man eine gute hat.

Daher nehme ich mir vor, das letzte Wochenende hier noch mal in allen Zügen auszukosten. Das bedeutet unbegründeten Druck, das spektakulärste Wochenende ever erleben zu müssen. War’s denn das? Nein. War es schön? Und wie!

Um in Berlin nicht die Orientierung zu verlieren, braucht man mindestens drei Dinge: kein FOMO (Fear of missing out, also Angst, etwas zu verpassen), viel Geduld und Privilegien. Die Angebote für Aktivitäten laufen gegen unendlich, wenn man den eigenen Kiez verlässt, freut man sich, wenn die Verabredung oder die Schlange für den Club nur 30 Minuten Fahrt- oder Wartezeit beträgt. Und alles steht und fällt mit der Frage, welche Zugänge, in den meisten Fällen, wie viel Geld man hat.

Abschied von Berlin nehmen, bedeutet für mich im Grunde, Lieblingsmenschen wiederzusehen und Lieblingsaktivitäten zu erleben. Während ich also mit Melissa meinen Iced Matcha schlürfe und wir uns über die neusten Lebensupdates austauschen, realisiere ich wieder einmal, wie unglaublich privilegiert ich bin. Die bettelnden Menschen, die uns in regelmäßigen Abständen ansprechen, sind nur ein Reminder dafür. Nachts ist es die doppelte Anzahl an Menschen, die in der Bahn nach etwas Geld fragen. Nach einem gemütlichen Bar­abend ist das eine schmerzhafte Beobachtung, die leider auch zu Berlin dazugehört.

Kurz vor der Zeitumstellung finde ich mich mit einer bunt zusammengewürfelten Gruppe in der genannten Bar. Ich bin kein sonderlich großer Fan von Bars, in denen man sitzt und sich bei zu lauter Musik gegenseitig anschreit, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Umso größer meine Freude, als ich mich am Samstagabend an einer mit Tischtennisplatte wiederfinde. Und während wir Rundlauf spielen, beobachte ich die Menschen um mich herum. Der Ehrgeiz, zumindest nicht als Erstes rauszufliegen, die Mikroaggressionen, während man den Ball in eine Ecke spielt, damit der oder die Geg­ne­r:in es schwerer hat dranzukommen, und die Freude, endlich im Finale anzukommen – nicht alles muss immer spektakulär sein, um sich lebendig zu fühlen. Es sind die simplen Dingen. Das denke ich mir jedes Mal, wenn ich Tagesaktivitäten nachts erlebe oder Nachtaktivitäten bei Tag.

So wie es sich dann am nächsten Tag ergeben hat: ein Abstecher im Club Sisyphos bei Tag in die Nacht hinein. Das werde ich an Berlin sehr vermissen: sich mit Freun­d:in­nen auf einen Kaffee treffen – und plötzlich steht man in der Warteschlange eines Clubs. Die Spontanität der Zu- und auch Absagen bei Treffen, etwas, was hier gang und gäbe ist. Zugegebenermaßen warteten wir mehr als 30 Minuten in der Schlange, aber nicht länger als eine Stunde, was für Berliner Verhältnisse ein Geschenk ist. Und so fand ich mich schnell auf der Tanzfläche wieder, nüchtern, in einer Menge mit ausgelassenen und fröhlichen Gesichtern. Tanzengehen – zweifelsohne einer meiner liebsten Beschäftigungen.

Egal ob im Supermarkt, auf der Straße oder eben im Club, sobald die Musik angeht, kann ich nicht stillsitzen. Dass ich praktisch dabei immer nüchtern bin, ist zwar für die meisten Tanzbegleitungen ungewohnt und einige Versuche, mir dann doch zumindest etwas Alkohol anzubieten, werden gemacht. Sobald wir alle dann auf der Tanzfläche unsere Körper zum Tune der Musik bewegen, fällt aber nicht auf, dass ich nichts konsumiert habe. Hemmungslos tanzen, am liebsten in Berlin, der Stadt, wo Techno nun immaterielles Kulturerbe ist. Dieses Erbe nehme ich garantiert mit und sage: Wir sehen uns bald wieder Berlin.