Neue Wege auf der Werft

WERFTEN Nach der Beinahe-Pleite setzt die Hamburger Traditionswerft Sietas auf eine revolutionierte Bauweise im Schiffbau. Dabei werden industrielle Strategien aus dem Flugzeugbau eingesetzt, die die Bauzeit eines Schiffes halbieren und die Finanzierung erleichtern. Ein Besuch auf der Werft

Die älteste Werft Deutschlands ist 1635 im Elbdorf Neuenfelde hinter der Hauptdeichlinie der Elbe an der Estemündung im Mühlenberger Loch von Carsten Sietas gegründet worden. Zuerst konzentrierte sich die Sietas-Werft auf den Bau von Kuttern und Holzbooten, dann auf große Segelschiffe.

■ Die ersten Stahlschiffe wurden Anfang des 20. Jahrhundert auf der Werft gebaut.

■ Das erste deutsche Containerschiff, die „Bell Vanguard“, verließ 1966 die Sietas-Werft.

■ In der neunten Generation mussten die Sietas im März 2009 das Management auf der seit Gründung ununterbrochen in Familienbesitz geführten Werft abgeben. Eine Forderung des Hauptgläubigers, der HSH Nordbank.

VON KAI VON APPEN

Das Jahr 2008 war kein gutes Jahr für die Traditionswerft Sietas in Hamburg-Neuenfelde. „Wir sind von einer Welle von 14 Stornierungen überschwemmt worden“, sagt Produktionsleiter John Ölkers. Sietas stand kurz vor dem Aus. Doch seit März dieses Jahres haben Rüdiger Fuchs und Rüdiger Wolf von Hinrich Sietas das Management des 374 Jahre alten Schiffbaubetriebes übernommen, der bislang von der Sietas-Familie geführt worden ist.

Und nach einer konzertierten Aktion von Management, Anteilseigner, Belegschaft, IG Metall und Politik sowie einem „neuen unternehmerischen Konzept“, in das Manager Fuchs seine Erfahrungen vom Flugzeugbauer Airbus einfließen ließ, gibt es nach nur 160 Tagen auf der Werft wieder eine Perspektive. „14 Schiffe in der Krise zu verlieren, ist schon ein Hammer“, sagt Fuchs. „Jetzt gibt es einen Neuanfang – wir haben noch viel vor uns, sind aber auf einem guten Weg.“

Kern des neuen Konzeptes ist der „Kurswechsel“ vom traditionellen Schiffbaubetrieb zu einer „modernen industriellen Werft für Spezialschiffe“. Vor gut einer Woche sei das letzte Containerschiff – der Selbstentlade-Bulker „Beltnes“ – „nach alter Bauart ausgeliefert worden“, sagt Fuchs. „Die ersten acht Sektionen eines weiteren Selbstentlade-Bulkers werden bereits heute nach dem neuen industriellen Schiffbaukonzept gefertigt.“

Die neue Sietas-Zauberformel ist die „Parallelisierung von Produktionsabläufen“. Früher sei der Rumpf eines Schiffes systematisch Segment für Segment im Dock zusammengebaut und mit Farbe konserviert worden. Dann sei das Schiff im Wasser am Ausrüstungskai ausgestattet worden. „Dann, wenn alles schon zugebaut war“, sagt Fuchs. Nun werden große Sektionen des Schiffes bereits in der Schiffbauhalle zusammengeschweißt und währenddessen innen ausgerüstet und konserviert. „Die Bedingungen sind besser, weil alles noch zugänglich ist“, sagt Fuchs. Erst dann werden die bis zu 450 Tonnen schweren Sektionen zugemacht, mit dem Kran ins Dock gehievt und zusammengeschweißt, bevor das Schiff am Ausrüstungskai den Feinschliff erhält. „Alles, was wir früher an Bord gemacht haben, machen wir jetzt in der Schiffbauhalle“, erklärt Produktionsleiter Ölkers die revolutionierte Bauweise und zeigt dabei auf einen 300 Tonnen Stahl-Torso in der offenen Halle, in dem innen Rohre zu sehen sind. „Jeder Fachmann muss natürlich das Gleiche machen wie früher“, ergänzt Ölkers. „Nur an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit.“ So würde überflüssige Doppelarbeit vermieden. Es sei vorgekommen, dass die Malerarbeiten bereits abgeschlossen waren, so Ölkers, aber der Schweißer bei der Installation von Rohren alles wieder verbrannt hat. Selbst die Verkabelung in den einzelnen Modulen erfolgt schon in der Schiffbauhalle. „Lediglich nautische Kabel, die durchs ganze Schiff gehen, dürfen nach den Normen nicht getrennt werden“, sagt Ölkers. Sie müssten nach der Fertigstellung des Rohbaus am Ausrüstungskai eingezogen werden.

Diese Parallelarbeit, „die die Chinesen auch ausprobieren, aber damit nicht klar kommen“, grinst Ölkers, bedeutet für Sietas jedoch nicht nur verkürzte Durchlaufzeiten und höhere Produktivität, sondern hat den Nebeneffekt „einer „Halbierung der Finanzierung“, sagt der kaufmännische Geschäftsführer Rüdiger Wolf. Denn für den Bau eines Schiffes muss die Werft bei einer Bank Kredite aufnehmen – halbiert sich die Bauzeit, reduzieren sich auch schneller die „Schulden“ bei der Bank.

Überhaupt haben Fuchs und Wolf bei der Umstrukturierung der Sietas-Werft die „Qualität des Orderbuches“ unter die Lupe genommen, um ein Desaster wie im vorigen Jahr künftig zu vermeiden. In Asien sei bei Schiffsbestellungen 20 Prozent Anzahlung der Reeder üblich, bei einer Stornierung werde das Geld einbehalten. „Das war in Europa anders“, sagt Wolf. Daher werde Sietas künftig auf „verbindliche Verträge“ pochen, so Wolf, „wo die Finanzierung sicher ist, und das Schiff auch abgenommen wird.“

Das Umstrukturierungskonzept hat Politik, Belegschaft und IG Metall offenkundig überzeugt. So konnte Sietas vor wenigen Wochen neben den georderten fünf Spezial-Schiffneubauten und den Bau von Kreuzfahrtschiff-Segmenten für die Meyer-Werft in Papenburg auch noch einen Super-Auftrag an Land ziehen – den Bau von zwei hochmoderne Schwergutfrachtern im Wert von 120 Millionen Euro – die größten und modernsten Heavy Lifter auf der Welt.

34 Millionen Euro Ausfallbürgschaft für Kredite gewährte daraufhin die Stadt Hamburg, der Bund stellte weitere 26 Millionen Euro bereit. „Die Stadt steht zu ihrem Engagement“, sagt Wirtschaftssenator Axel Gedaschko. Und auch die IG Metall Küste willigte in ein Abkommen zur „Neuausrichtung der Sietas-Werft“ ein, von der der Deutsche Schiffbau lernen könnte. Das Abkommen sieht zwar den Abbau von 242 der knapp 1.000 Jobs auf der Werft und den „schmerzhaften Verzicht“ auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld vor. Anderseits hat die Geschäftsführung der IG Metall aber eine Beschäftigungssicherung bis 2012 gegeben und die Zusage gemacht, 15 Auszubildende einzustellen und nach der Lehre unbefristet zu übernehmen. „Damit zeigt das Unternehmen, dass es nicht auf kurzfristige Rendite setzt“, sagt Daniel Friedrich, Tarifsekretär der IG Metall Küste, „sondern eine langfristige Wachstumsstrategie hat.“