Belgrad zensiert, Brüssel schweigt

MAULKORB Mit drakonischen Geldstrafen wollen serbische Politiker die Medien im Zaum halten

Angst vor dem Bankrott durch lange und teure Prozesse führt zur Selbstzensur

Heftige Proteste der Journalistenverbände und sogar eine Regierungskrise löste eine geplante Verschärfung des Mediengesetzes in Serbien aus. Das umstrittene Gesetz sieht drakonische Geldstrafen für Verleumdung vor, die die verarmten serbischen Medien nur allzu leicht in den Konkurs treiben könnten. Wo Kritik aufhört und Verleumdung anfängt, ist unklar: Selbst bei Kommentaren oder Zitaten müssten Medien mit Strafprozessen rechnen und wären der – immer noch – politisch gesteuerten Justiz ausgesetzt. Zumal von den Medien verlangt wird, ein sehr hohes Gründerkapital vorzuweisen und stets genügend Cash zu haben, um mögliche Geldstrafen bezahlen zu können.

Befürworter behaupten, dass nationalistische und antieuropäische Revolverblätter, die ungestraft Lügen und Beleidigungen veröffentlichen, endlich diszipliniert werden müssten. Tatsächlich ist die serbische Boulevardpresse rechtsnational orientiert, einzelne Zeitungen organisieren gezielte Hetzkampagnen gegen bestimmte Personen. Der Schönheitsfehler: Der Maulkorb soll ihnen gerade zu dem Zeitpunkt aufgesetzt werden, in dem infolge der Wirtschaftskrise die Popularität der proeuropäischen Regierung drastisch sinkt, und die der nationalistischen Opposition steigt.

Kritiker meinen dagegen, das Mediengesetz solle regierende Politiker vor regimekritischen Medien schützen. Angst vor dem Bankrott durch lange und teure Prozesse führe zur Selbstzensur. Ljiljana Smajlović, Vorsitzende des Serbischen Journalistenverbands, schreibt, dass, obwohl das Mediengesetz im krassen Widerspruch zu EU-Standards stehe, Brüssel dazu schweige, um die proeuropäische serbische Regierung nicht zusätzlich in Verlegenheit zu bringen.

Die Verabschiedung des Gesetzes verhinderte – zumindest vorübergehend – ausgerechnet Serbiens Innenminister Ivica Dačić. Dačić war bis zur demokratischen Wende im Jahr 2000 Pressesprecher des autoritären Regimes von Slobodan Milošević, das Medienfreiheiten einschränkte, wo es nur konnte. In den folgenden neun Jahren verwandelte sich der Nationalist und Kriegshetzer zu einem Sozialdemokraten und Europäer. Sich nun auf europäische Werte berufend, widersetze sich der Innenminister seinen traditionell prowestlichen Koalitionspartnern in der Regierung: Seine Sozialistische Partei Serbiens (SPS) blockierte die Verschärfung des Mediengesetzes. Ohne SPS-Stimmen konnten die Demokratische Partei (DS) von Staatspräsident Boris Tadić und die liberale G17 Plus das Informationsgesetz nicht im Eiltempo noch vor der Sommerpause durchs Parlament boxen.

Die Lage auf dem serbischen Medienmarkt ist auch ohne ein restriktiveres Mediengesetz kritisch. Die Werbeeinnahmen sind seit Jahresbeginn um rund 40 Prozent, die Auflagen insgesamt um ein Drittel gefallen. Das führte zu faulen Finanzabkommen mit Tycoons oder einzelnen Ministerien und Staatsagenturen. Als Folge droht Medien eine quasi freiwillige Gleichschaltung, wie es sie nicht einmal während des Regimes Milošević’ gegeben hat.

„Es droht die Gefahr, dass in der konfliktreichen serbischen Gesellschaft die Medien wegen ihrer Zusammenarbeit mit den Behörden und Angst vor dem Konkurs völlig unkritisch werden“, sagt Dragoljub Žarković, Chefredakteur des renommierten politischen Magazins Vreme, der taz. Journalistenverbände kritisieren, dass die Regierung keine Strategie für den Erhalt unabhängiger und freier Medien als vierte Gewalt habe.

Viele Journalisten hätten ihr halbes Leben unter Milošević für Demokratie und Pressefreiheit gekämpft, sagt Dragoljub Žarković. Doch dieser Enthusiasmus verblasse allmählich, weil nicht mehr klar sei, wer Freund und wer Feind ist. ANDREJ IVANJI