Prekäre Pionierarbeit

SCHIFFFAHRT Zum ersten Mal in ihrer 20-jährigen Laufbahn als Kulturschiff ist die MS „Stubnitz“ in Bremen vor Anker gegangen. Von Bord aus sieht auch Bremen anders aus. Interview mit einem Kulturkapitän

■ Jahrgang 1960, wuchs in der Schweiz auf und arbeitete als Musiker, Komponist, Tontechniker und Veranstalter in ganz Europa. 1991 rettete er mit anderen Künstlern die MS „Stubnitz“ vor der Verschrottung.

INTERVIEW: ANDREAS SCHNELL taz.bremen: Wie kommt es, dass die „Stubnitz“ jetzt zum ersten Mal in Bremen liegt?

Urs „Blo“ Blaser, Geschäftsführer des Betreibers der „Stubnitz“, Motorschiff „Stubnitz“ e.V.: Wir haben in der Vergangenheit immer wieder nach Bremen geschaut, weil es als zweitgrößte deutsche Hafenstadt und auch kulturell mit einer ziemlich ausgeprägten Szenelandschaft natürlich von Interesse ist. Wir sind aber immer zurückgescheut, weil die möglichen Liegeplätze im Überseequartier gewesen wären – da hatten wir Bedenken, dass das zu weit ab vom Schuss ist. Die Sanierung des Liegeplatzes am Weserbahnhof hat erst die Gelegenheit gegeben. Dazu kam, dass unser Besuch auf Initiative der ZwischenZeitZentrale aus städtebaulicher Sicht auf Gegenliebe gestoßen ist. Das passt zu dem Bestreben, das Überseequartier an die Innenstadt anzubinden. Deshalb hat uns auch die Bremer Wirtschaftsförderung einen Zuschuss für die Fahrtkosten bewilligt.

Der Betrieb des Schiffs vor Ort muss sich selbst tragen?

Ja, da es in Bremen viele Veranstalter gibt, die ohne Zuschüsse arbeiten müssen, gäbe es Unfrieden, wenn ein Projekt von außen kommt und einen kulturellen Zuschuss bekommt. Deswegen ging es nicht darum, ein höheres Programmprofil zu fahren, als aus dem laufenden Betrieb finanzierbar ist. Darum haben wir auf Partnerschaften vor Ort gesetzt.

Läuft das in anderen Städten genau so wie in Bremen?

In Deutschland ist das so, wobei wir in Rostock kulturelle Förderung auf Projektebene haben. In Dänemark, Frankreich, Belgien, England funktioniert das ganz anders. Deswegen ist das Projekt auch ein anderes, abhängig davon, wo es zum Einsatz gebracht wird. In Kopenhagen war zum Beispiel das Kopenhagener Jazz-Festival der große Partner. Da gibt es ungefähr 1.000 Konzerte in zehn Tagen – ein Riesending. Wir haben die 30 progressivsten Konzerte des Festivals gemacht. Das ist ein ganz anderes Niveau, ganz einfach weil die Mittel dafür vorhanden sind.

Ist das für die „Stubnitz“ ein Weg, sich als Projekt am Leben zu erhalten, oder wird der höhere Zuschuss aufgefressen durch die Fahrtkosten?

Mit der Arbeit an deutschen Standorten sind wir nicht überlebensfähig. Wir sind unmittelbar davon abhängig, dass wir in Länder fahren, wo wir die Eigenwirtschaftlichkeit verbessern können.

In Bremen gibt es rund 15 Partner, die auch ihr Profil mitbringen. Besprecht ihr mit denen, was inhaltlich läuft?

Wir gestalten das Programm hauptsächlich, indem wir definieren, wer unsere Partner sind. Dass man Überzeugungstäter bevorzugt und nicht als erstes kommerzielle Veranstalter sucht, um die Wochenenden zu füllen.

Wie habt ihr eure Partner gefunden?

Einige Kontakte hat die ZwischenZeitZentrale initiiert. Wenn man sich das Programm ansieht, ist das etwa halbe-halbe. Wir haben aber auch durch Projekte, die schon bei uns an Bord waren, selbst viele Kontakte zu Leuten aus der Bremer Szene, die wir für glaubwürdig halten und gern einbeziehen.

Ihr liegt in direkter Nachbarschaft des schicken Chili Clubs. Wenn ihr als „Stubnitz“ hier steht, um den Brückenschlag in die Überseestadt zu unterstützen, nehmt ihr an einer organisierten Gentrifizierung teil…

Das ist der Lauf der Dinge. Im Moment sagt man: Am Weserbahnhof ist gar nichts los, also bringen wir da ein kreatives, szeniges Publikum hin, damit das als Standort angenommen wird. Und wenn erst mal Publikum da ist, kommen die anderen nach.

■ Die MS „Stubnitz“ ist knapp 80 Meter lang und wiegt rund 2.500 Tonnen. Sie wurde 1964 in Stralsund gebaut und ist das letzte noch existierende Schiff der Hochseefischfangflotte der DDR. Bis 1992 war die MS „Stubnitz“ für den VEB Fischfang Rostock als Kühlschiff im Einsatz. 1992 erwarb die „Stubnitz“ Kunst-Raum-Schiff GmbH, eine Künstlerinitiative aus Deutschland, der Schweiz und Österreich, das Fahrzeug von der Rostocker Fischfang-Reederei und betreibt es seitdem als Kulturschiff. Seit 2003 ist die MS „Stubnitz“ in die Denkmalliste der Stadt Rostock eingetragen. Die nächsten Stationen des Schiffs: Hamburg, Wilhelmshaven und London.

Dass man gegen die Urgewalten des Kapitalismus schwer ankommt, ist das eine, aber wie verhaltet ihr euch dazu?

Ich würde das nicht nur als Urgewalt des Kapitalismus bezeichnen. Irgendwie ist es auch der normale Lauf der Dinge, dass ein Quartier, das in die Jahre kommt, an Attraktivität verliert für ein kaufkräftiges Publikum. Dann gehen da eher die Künstler hin, weil es günstig ist. Und dann kann es sich auch wieder umkehren. Mit dem Überseequartier ist es natürlich ein bisschen anders. Wie in allen europäischen Hafenstädten ist die Hafenwirtschaft nach außen gewandert, zum einen, weil die Schiffe immer größer geworden sind, zum anderen aus Sicherheitsgründen. Dadurch sind die ehemaligen Hafenareale überall Thema. Es ist nicht unbedingt abwegig, dass man sagt, da muss erst mal die kreative Szene vorangehen und es attraktiver machen, damit es an Popularität gewinnt und städtebaulich entwickelt werden kann. Das wird natürlich sehr unterschiedlich und mit mehr oder weniger glücklicher Hand vorangetrieben.

Gibt es vergleichbare Areale, die in ihrer Entwicklung schon weiter sind als die Überseestadt oder die Hafencity?

Ein gelungenes Beispiel ist Aalborg. Die haben da eine wirklich tolle, abwechslungsreiche Wasserkante hingezaubert, mit Parks, Sportanlagen. Da waren wir auch eingeladen, das zu beleben. Als wir wieder abgefahren sind, war es voll – und die Leute sind geblieben. Ein anderes Beispiel ist Newcastle und Gateshead. Da wurde in kulturelle Institutionen am Wasser investiert. Gateshead hatte immer das Image der Arbeiterstadt. Die kulturelle Infrastruktur wurde auf die Gateshead-Seite gestellt und eine Fußgängerbrücke über die Tyne als Übergang gebaut. Das hat extrem gut funktioniert. Die Investitionen waren nach zwei Jahren über den zusätzlichen Tourismus wieder eingespielt.

■ Die MS „Stubnitz“ liegt noch bis Mitte Mai am Weser-Terminal. Tagsüber sind Führungen möglich, abends gibt es täglich Veranstaltungen. Alle Termine und Informationen zur MS „Stubnitz“ im Internet: ms.stubnitz.com