Psychiatrieasyl

Borsa ist ein Dorf mit 1.200 Einwohnern und einem Krankenhaus für chronisch psychisch Kranke. Es liegt im rumänischen Siebenbürgen, eine Stunde von der nächsten Stadt (Cluj) entfernt, versteckt in einem Tal. Borsa ist stigmatisiert. Außer den Dorfbewohnern will hier kaum jemand arbeiten. Es ist ein Ort der Ausgrenzung Sonderbarer. Man wird nach Borsa gebracht, meist von der Polizei, einem Akutspital oder aus einem Kinderheim, um dort zu bleiben und zu sterben. Die individuelle Existenz erlischt in Borsa.

Borsa ist einer von vielen Orten in Südosteuropa, wo psychisch Kranke versteckt werden. Es gibt ca. 40 solcher Psychiatrieasyle in Rumänien. Auch das Personal ist stigmatisiert. Ärztliche Versorgung gibt es nur tagsüber unter der Woche, nicht am Wochenende und nachts auch nicht. 220 Menschen leben in 160 Betten, die sich auf wenige Säle verteilen. Duschen und Toiletten funktionieren nicht, Flöhe und Krätze sind Alltag – alles gleicht einem Lager. Die Patienten kommen aus den akutpsychatrischen Kliniken in diese Einrichtungen, wenn sie nicht rasch gesunden oder von den Familien nicht wieder aufgenommen werden.

Die häufigste Krankheit ist Schizophrenie. Ein kleinerer Teil der Patienten ist geistig behindert oder hat eine Sucht- oder Demenzerkrankung. In der westeuropäischen Öffentlichkeit ist die Gesundheits- und Behindertenpolitik des rumänischen Staates insbesondere durch Skandalberichte aus Kinderheimen bekannt geworden, z. B. 1990 durch Berichte aus dem Kinderheim Cighid in Spiegel und Stern. Die Sterberate der Kinder lag damals bei bis zu 30 Prozent im Jahr. Während sich in den Kinderheimen nicht zuletzt aufgrund des Drucks der Europäischen Union in den letzten Jahren einiges verbessert hat, war und sind die Verhältnisse in der Psychiatrie bis zum heutigen Tag skandalös. Die Kliniken für chronisch Kranke versinken in einem Morast aus Verwahrlosung und Verwahrung; ein Vermächtnis der Ceaușescu-Zeit – ein Zustand passiver Euthanasie.

Psychotherapeutische und milieutherapeutische Bemühungen hatten in den letzten 50 Jahren keine Chance in Rumänien. Elena Ceaușescu als zuständige Kulturministerin hatte entsprechende Ausbildungen wie Ergotherapie, Sozialarbeit etc. gestrichen – ein Gesundungspotenzial psychisch Kranker wurde als nicht vorhanden angesehen. Historisch entscheidend für die verheerenden Verhältnisse in diesen Anstalten war eine strukturelle Weichenstellung Mitte der 1950er-Jahre: die örtliche Trennung von Akut- und Langzeitpsychiatrie. Die Auslagerung der „Nichtheilbaren“ an Orte des Nicht-mehr-gesehen-Werdens hat die fatale Situation solcher Kliniken geschaffen. Diese Patienten wieder sichtbar und offiziell werden zu lassen heißt, sie wieder in die Städte zu holen, um eine Wiedereingliederung erst zu ermöglichen.

In Borsa engagiert sich seit Ende 2002 die deutsche NGO (Nichtregierungsorganisation) Beclean e. V. aus Ravensburg. Mit Unterstützung der Robert-Bosch-Stiftung wird das Personal qualifiziert, und man versucht, aus Spendenmitteln ein Auflösungskonzept der Klinik mit der Kreisregierung umzusetzen. Vor einem halben Jahr konnten die ersten 40 Patienten in die größere Stadt Turda umziehen. PAUL-OTTO SCHMIDT-MICHEL

Beclean e. V. Ravensburg, Eisenbahnstraße 30/1, 88212 Ravensburg, Fon: (07 51) 3 66 55 80, Fax: (07 51) 3 66 55 99, E-Mail: info@beclean-ev.org, www.beclean-ev.org, Spendenkonto: Kreissparkasse Ravensburg BLZ: 650 501 10, Kontonummer: 48048488