Machtkampf unter Pakistans Taliban

ISLAMISTEN Nachfolger des getöteten Talibanchefs Baitullah Mehsud soll erschossen worden sein

Mit der Ernennung eines Toten zum neuen Chef wollen die Taliban Zeit gewinnen

DELHI taz | Am Sonntagabend hat ein Attentäter in Peschawar im Nordwesten Pakistans den Bruder des Sprechers der militanten Islamistengruppe Ansar-ul-Islam angegriffen und sich anschließend in die Luft gesprengt. Dabei tötete er 3 Menschen und verletzte 15 weitere schwer, darunter mehrere Kinder. Die Polizei vermutet die Lashkar-e-Islam, eine verfeindete Terrorgruppe, hinter dem Anschlag. Es handelt sich offenbar um eine weitere Episode im Machtkampf zwischen Pakistans Islamisten, der seit dem Tod von Talibanchef Baitullah Mehsud offen ausgebrochen ist. Mehsud war Anfang August bei einem US-Raketenangriff im Nordwesten Pakistans getötet worden. Die Ansar-ul-Islam wird zu den militanten Islamistengruppen gerechnet, in deren Zentrum bis vor kurzem die Tehrik-e-Taliban Pakistan (Taliban-Bewegung in Pakistan, TTP) stand.

2007 hatten sich drei Dutzend militante Gruppen aus dem Nordwesten zur TTP zusammengeschlossen und Baitullah Mehsud zu ihrem Führer gewählt. Ihm war es seitdem gelungen, die einzelnen Fraktionen zusammen zu halten, die sich zum Teil ideologisch stark unterscheiden. Meist gehören jeder dieser Gruppen nur Angehörige eines der vielen Stämme an, die zueinander oft in Konkurrenz stehen. Bis zu 20.000 Kämpfer soll Mehsud kommandiert haben. Hunderte Anschläge werden der TTP zugerechnet, darunter der Mord an Expremierministerin Benazir Bhutto Ende 2007.

Die Taliban indes ermordeten am Wochenende Mehsuds Schwiegervater, in dessen Haus der Islamistenchef getötet worden war. Offenbar verdächtigten sie ihn, Mehsuds Aufenthaltsort an das Militär verraten zu haben. Bereits wenige Tage nach Mehsuds Tod, den die TTP lange bestritt, kamen zwei potenzielle Nachfolger ums Leben, als es bei einem Treffen zu Schusswechseln kam.

Erst am Samstag, und somit drei Wochen nach seinem Tod, erklärte die TTP, sie hätten einen neuen Anführer bestimmt: Den 28-jährigen Hakimullah Mehsud. Das erste Mal trat er im November 2008 öffentlich auf, als er Journalisten zur Fahrt in einem erbeuteten Humvee-Jeep der US-Armee einlud. Er gilt als rücksichtslosester TTP-Kommandeur und soll mehrere Anschläge sowie den Angriff auf Sri Lankas Kricket-Nationalmannschaft organisiert haben. Doch ist er inzwischen vermutlich tot.

Pakistanische Geheimdienstkreise gehen davon aus, dass er bei einer Schießerei im Kampf um die Mehrsud-Nachfolge getötet wurde. „Die Erklärung ist echt, aber der Mann ist es nicht“, sagte ein hochrangiger Regierungsbeamter aus dem Nordwesten der Nachrichtenagentur Reuters. Die TTP wolle mit der Erklärung Zeit schinden, bis die Risse in der Organisation nicht mehr so sichtbar sind.

Mehrere Islamistenchefs erklärten sich zum Nachfolger des getöteten Mehsud

Pakistans Polizei nahm am Montag 13 militante Islamisten fest und verhinderte damit nach eigenen Angaben mehrere Anschläge. Bei einer der Razzien in der östlichen Stadt Sargodha sei einer der führenden Anwerber der Taliban gefasst worden, erklärte ein Polizeichef. Die Festnahme von sechs Verdächtigen habe ein Chaos in der Stadt verhindert. Die Zelle habe kommende Woche Anschläge verüben wollen und Verbindungen zum getöteten Baitullah Mehsud gehabt. SASCHA ZASTIRAL