Lass die Puppen rocken

Geschichten aus der Produktion (5): Ina Langenbruch und Gabi Hartkopp stellen für ihr Label und ihren Laden „Dollyrocker“ Kindermode aus gebrauchten Kleidern her. Da geht alles außer einfarbig

VON ANNE KRAUME

Samstags, wenn Markt ist auf dem Boxhagener Platz, ist es am lebhaftesten in der Gärtnerstraße. Dann tragen die Friedrichshainer ihre Tüten mit dem Spargel und den Kartoffeln nach Hause, dann hört man vom Platz her den Blumenmann rufen, dass es zwei Sträuße für ein „Fünferle“ zu kaufen gebe, dann schieben die Mütter ihre Kinderwagen vorbei am Stand mit den Spreewaldgurken, und die Väter ziehen die Kinder, die schon größer sind, an der Hand hinter sich her.

Auf der Westseite der Straße schließt Gabi Hartkopp ihren Laden auf und hängt Bügel mit bunten Kinderkleidern in die offene Tür. „Dollyrocker“ heißt der Laden – ob das etwas bedeutet und wenn ja, was genau, das weiß Gabi selbst nicht: „Den Namen hat ein Freund für uns gefunden!“ Und sie hat Recht: Der Name lässt Platz für Assoziationen. Bei „Dolly“ fällt einem als Erstes das Klonschaf ein, aber das passt wohl nicht so sehr zu fröhlicher Kindermode, wie sie Gabi Hartkopp und ihre Partnerin Ina Langenbruch entwerfen. Das englische Wort für Puppe trifft es da schon eher. Aber in „rocker“ steckt ja nicht nur der Rock, sondern vielleicht auch die Idee, dass Kindermode eben nicht puppig und brav, sondern frech sein sollte. Zwischen diesen Polen also rockt es jetzt seit drei Jahren in der Gärtnerstraße – Gabi Hartkopp und Ina Langenbruch stellen ihre bunte Kindermode aus gebrauchten Kleidern her, die sie in Secondhand-Läden und auf Flohmärkten zusammenkaufen. Dahinter steht der Gedanke, dass es eigentlich schon genug Stoffe in der Welt gibt, auf die man zurückgreifen kann – aber nicht nur deshalb ist die Kindermode von Dollyrocker ökologisch, sondern auch, weil Gabi und Ina bei ihren Beutezügen über die Trödelmärkte keine Kleider aus Chemiefasern einkaufen, sondern nur aus natürlichen Materialien. „Und außerdem sind gebrauchte Kleider oft gewaschen, es sind keine Rückstände von Farbstoffen mehr drin, sodass sie auch gut verträglich für Kinder mit empfindlicher Haut sind“, erklärt Gabi das, was sie die „Philosophie“ von Dollyrocker nennt.

Die Idee mit dem Recycling von alten Kleidern stand damals, vor drei Jahren, ganz am Anfang ihres Projekts: Ina und Gabi hatten zusammen Modedesign studiert, auch das schon in Friedrichshain, an der FHTW am Warschauer Platz. Es war die Zeit, in der der modische Mix aus Alt und Neu schick zu werden begann, und als Ina dann eine Tochter bekam, war die Idee mit der Kindermode aus Recyclingstoffen geboren. Am Anfang gab das Quartiersmanagement am Boxhagener Platz noch Starthilfe: „Damals gab es ein Modell, mit dem junge kreative Leute bei der Existenzgründung gefördert werden sollten“, erzählt Gabi. Ein Jahr lang bekamen sie die halbe Miete für ihren Laden in der Gärtnerstraße bezahlt – danach war die Sache dann immerhin so gut angelaufen, dass sie ihre Kosten jetzt selbst tragen können und noch ein bisschen dabei verdienen. „Natürlich könnte der Umsatz noch gesteigert werden, aber wir sind auf einem guten Weg“, sagt Gabi. Mittlerweile verkaufen die beiden ihre Kollektion nicht nur in ihrem Friedrichshainer Atelierladen, sondern auch im Stilwerk in Charlottenburg und in einem Kinderladen in Prenzlauer Berg – beides funktioniert so gut wie in Friedrichshain.

Die Basis allerdings bleibt dort, in der Gärtnerstraße – hier wird produziert, gelagert und verkauft. Wenn die Dollyrockerkunden hier die Tür zum Laden öffnen, dann stürmen ihnen die Farben förmlich entgegen: Der alte Dielenboden ist rosafarben getüncht, neben der Tür steht ein Regal mit bunten Krabbelkinderschuhen, vielfarbige Perlenschnüre baumeln von der Decke, und die Wände sind zugehängt mit Kinderkleidern in allen Größen, Formen und Farben. „Wir konnten den Laden natürlich nicht teuer einrichten“, sagt Gabi, „also haben wir alles selbst gemacht, renoviert und nach und nach immer mal etwas ergänzt.“

Im zweiten Zimmer haben die Dielen keinen Anstrich erhalten, hinten in der Ecke steht ein alter Kachelofen und an den Wänden Regale bis unter die Decke, in denen nach Stoffen geordnet das Material liegt, aus dem Gabi und Ina ihre Modelle schneidern. Trotz der gemütlichen Holzbank am Fenster und der Teetasse darauf sieht es hier nach Arbeit aus – Stoffberge, Schneidetische, Nähmaschine, Bügelbrett. Wenn man Gabi Hartkopp dabei erlebt, wie sie beim Nähen Musik hört, die Montmartre-Melodie aus dem „Amélie“-Film, und wie sie, wenn keine Kunden nebenan im Laden stöbern, diese Melodie leise mitsummt – dann wirkt es, als würde ihre Arbeit ähnlich vorantanzen wie die Musik. Hier entsteht aus den Ärmeln eines gestreiften Herrenhemdes eine luftige Hose und aus der romantischen Blümchenbluse ein knappes Kleidchen. Die Kombination von gestreift und geblümt, von Trikotstoff, Kordsamt und Leinen, von hippen alten Jeans und spießigen Oberhemden: Alles geht außer einfarbig, so könnte man die Dollyrocker-Kollektion beschreiben. Kein Wunder also, dass Gabi glaubhaft versichern kann, den Kindern selbst gefielen ihre Modelle genauso wie den Eltern.

Ihre eigenen Kinder sind allerdings inzwischen zu groß für die Entwürfe ihrer Mutter, haben eigene Vorstellungen, wenn es um ihr Outfit geht. Aber über den Boxhagener Platz schlendern ja noch genug Mütter mit Kinderwagen und Väter mit Kindern an der Hand.

Dollyrocker, Gärtnerstraße 25, www.dollyrocker.de