Blatt um Blatt

Hauptstadt ohne Zeitungen: Eine Woche lang streikten in Paris die unabhängigen Kioskbesitzer für bessere Verkaufskonditionen – mit Erfolg

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

„Man muss verrückt sein, um diesen Job zu machen“, sagt Alain Renault, Chef der SNLP, einer der beiden französischen Gewerkschaften der Kioskbetreiber Frankreichs. Ein 14-Stunden-Tag. Ein Monatseinkommen zwischen 900 und 1.100 Euro. Eine Sechstagewoche. Und eine erdrückende Konkurrenz durch die Zeitungsläden der Kette „Relay“, die zu dem großen Hachette-Konzern gehören, um ein Drittel höhere Kommissionen bekommen und das Monopol an den besten Verkaufslagen haben: Bahnhöfe, Flughäfen und Krankenhäuser. Kein Wunder also, dass die Zahl der unabhängigen Kioskbetreiber in Frankreich ständig sinkt: Gegenwärtig sind sie noch 30.000. gegenüber 34.000 am Ende der 90er-Jahre.

Am Montag nach dem Referendum zur EU-Verfassung – einem Tag, der normalerweise zu Rekordverkäufen der französischen Printmedien geführt hätte – sind einige von ihnen zu einer lang angedrohten Tat geschritten: Streik. Während der ganzen Woche blieben ihre 148 kreisrunden grünen Metallhäuschen an den großen Straßenkreuzungen der französischen Hauptstadt geschlossen. Zahlreiche andere Pariser Kioske öffneten nur pro forma. Aktuelle Zeitungen zum Verkauf hatten sie nicht. Denn die Streikenden machten „Aktionen“: Sit-ins auf Straßen im Zentrum von Paris. Nächtliche Blockaden vor Druckereien und Zeitungsdepots am Rande der Stadt. Und Verhandlungen mit den Verlegern, während deren immer ein paar Dutzend Demonstranten vor der Tür standen. Ihre Forderungen: höhere Kommissionen beim Zeitungsverkauf. Und ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Medien, mit denen sie beliefert werden.

Der Zeitpunkt für den Streik war günstig. Die Verleger, die monatelang jedes Zugeständnis ablehnten, setzten sich gleich nach der ersten Blockadenacht, während deren die Streikenden die Auslieferung der Zeitung Le Monde in der Pariser Vorstadt Ivry stundenlang verzögert hatten, an einen Verhandlungstisch. Zwei Blockadenächte später machten sie am Donnerstagabend ein konkretes Angebot. Gestern Vormittag erklärten sich die Streikenden bereit, ihre Kioske am Montag wieder zu öffnen. Ab sofort sollen sie knapp 20 Prozent Kommission pro verkauftes Blatt bekommen.

„Das ist wenig, aber immerhin etwas“, sagt Pascal Clément. Er betreibt zusammen mit seiner Frau Michelle einen gut gehenden Kiosk im Osten von Paris, gleich neben der Métro-Station Gambetta. Seit 27 Jahren verkauft er Zeitungen. Er liebt den „Umgang mit Papier“. Und er mag die Diskussionen mit den Kunden. Aber das Geschäft ist im Laufe der Jahre immer härter geworden: Weil die Illustrierten ihre Kunden mit attraktiven Geschenken zu Abonnements locken. (Bislang ist der Kioskverkauf von Zeitungen in Frankreich deutlich höher als im Abo-dominierten Deutschland.) Weil die Auflagen der Tageszeitungen – ausnahmslos – heruntergehen. Und weil immer mehr Tageszeitungen gleich neben den Kiosken gratis verteilt werden.

Hinzu kommt, dass die Kioskbetreiber kaum Einfluss auf die Auswahl der Medien haben, mit denen sie beliefert werden. Clément bekommt zahlreiche Blätter über Jagd, Rugby und Mode, die er in seinem Kiosk nicht loswird. Aber er muss sie ungefragt nehmen und auch bezahlen. Erst wenn die Blätter unverkauft zurückgehen, erstatten die Verleger das Geld wieder.

Am Montag werden die Cléments nun nach einer Woche Streik und nächtlichen Aktionen wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Dann beginnt ihr Tag wieder um 5.30 Uhr.