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In der Kunst findet Textiles endlich Anerkennung. Das Kunsthaus Dahlem stellt Objekte von Sofie Dawo mit Werken der Künstlergruppe ZERO und Zeitgenössischem von Haleh Redjaian in Dialog

Das Weichplastische: Sofie Dawo, Ohne Titel, 1977; Baumwoll-Cordonnet, Smyrnawolle, Gewebe mit flottierenden Fäden  Foto: (c) Jochum Rodgers, Berlin

Von Tom Mustroph

Textilkunst war lange Zeit eine vom White-Cube-Mainstream wenig beachtete Kunstform, ausgeführt vornehmlich von Frauen und unter schwerstem Dekorationsverdacht. Das ändert sich gerade. Große Ausstellungshäuser wie etwa das Museum of Modern Art und das Barbican Centre entdecken die Knüpf- und Webkunst neu. Und auch das kleine, aber feine Kunsthaus Dahlem spielt da mit.

In der Ausstellung „Vom Faden zur Form – Sofie Dawos Textilkunst zwischen Zero und Konkretion“ wird nicht nur das Werk der vor allen in den 1960er bis 1980er Jahren aktiven Künstlerin und Kunstpädagogin Sofie Dawo vorgestellt. Kuratorin Petra Gördüren rückt es auch in den thematischen Zusammenhang mit der zeitgleich operierenden Künstlerbewegung ZERO. Und dass auch zeitgenössische Künst­le­r*in­nen Fäden und Gewebe ganz neu interpretieren können, zeigt sich in der Intervention von Haleh Redjaian.

Redjaian knüpft zarte geometrische Gewebe aus mal horizontal, mal vertikal und mal diagonal gespannten Fäden, die sich im Ausstellungsraum ausbreiten. Tritt man in die luftigen Installationen hinein, scheint sich das Gewebe wie ein Flor über die Ausstellungsstücke an den Wänden zu legen. Manchmal verbinden sich die Linien und Raster aber auch mit den dahinter befindlichen Arbeiten. Denn mit Linien und Rastern, mit abstrakten geometrischen Elementen arbeitete schließlich auch Dawo.

Die Ausstellung zeichnet dabei nach, wie die Künstlerin von zunächst abbildenden Versuchen immer mehr zu einer Arbeitsweise gelang, die die Gestaltung aus dem Material selbst ableitet. 1960 übertrug sie noch Experimente mit Tinte, Lineal und Papier auf gewebte Materialien. Zieht man etwa mit einem Lineal Tinte über Papier, dann entstehen unregelmäßige Streifen, die sich im rechten Winkel von der Ursprungslinie entfernen. Derartige Muster webte Dawo in ihre frühen Arbeiten ein. Dass das damals state of the art war, demonstriert Gördüren unter anderem mit der Gegenüberstellung von Papierarbeiten des ZERO-Künstlers Erwin Thorn. Auch er entwickelte Rasterstrukturen auf Papier, allerdings durch Reißen und Einbrennen. Ebenso operierte Nanda Vigo – auch sie eine ZERO-Künstlerin – mit abstrakten Formen, ebenfalls Herman de Vries. Nur waren die Bildträger andere. Vigo nutzte Aluminium und Glas, de Vries weiß lackiertes Holz. Dawos Arbeiten auf diese Art zu kontextualisieren, ergibt Sinn. Und es zeigt auch, dass solche Experimente in den 1960er Jahren weit verbreitet waren und dabei Materialien und Baustoffe unterschiedlichster Art verwendet wurden.

Bei Dawo kann man in späteren Jahren auch Ausflüge ins Dreidimensionale beobachten. Sie ließ in den 1970er Jahren lange Fäden aus ihren Wandbehängen heraushängen. Das führte nicht nur zu einer Art Schüttelfrisur dieser textilen Objekte. Weht etwas Luft durch den Raum, bewegen sich die Fäden sogar. Weitere Versuche der Dreidimensionalität sind Schlaufen, die Dawo einknüpft, etwa in einer orange leuchtenden Arbeit aus dem Jahre 1977. In einem anderen Wandbehang verdickt sie Fäden zu Wülsten, die dann zu Erhabenheiten auf dem Untergrund führen und bei seitlichem Lichteinfall Schatten werfen.

„Lichtwirkung und Schattenverlauf waren auch der Künstlergruppe ZERO als gestalterisches Mittel sehr wichtig“, erläutert Kuratorin Petra Gordüren den Bezug. Und bei all dem Drängen aus der Fläche ins Objekthafte darf natürlich auch ein Exponat des wohl bekanntesten Protagonisten der ZERO-Gruppe nicht fehlen: Günther Uecker ist ganz prominent mit einem seiner Nagelbilder gleich am Eingang der Ausstellung platziert.

Das führte zu einer Art Schüttelfrisur: Weht etwas Luft durch den Raum, bewegen sich die Fäden sogar

Gördüren ist mit der Neubewertung des Werks von Sofie Dawo ein eindrucksvoller Ausstellungsessay geglückt. „Wir hatten schon seit längerem die Idee, dass wir in unserem Raum, der ja für Hartplastisches gebaut wurde, mal etwas Weichplastisches, Textiles machen sollten“, erläutert sie. Das Haus war ursprünglich das Atelier von Arno Breker, der mit seinen heldenhaften und überdimensional großen Steinfiguren zum Lieblingsbildhauer Adolf Hitlers wurde. Später arbeitete der ebenfalls harten Materialien verbundene Bernhard Heiliger in diesen Räumen. Dawos Werk sorgt da tatsächlich für einen starken Kontrast.

Gördüren sind bei ihrer Suchbewegung nach dem Weichplastischen inzwischen derart viele Werke und Künst­le­r*in­nen (meist Frauen) untergekommen, dass sie gleich an ganze Ausstellungsserien zur Textilkunst in Zukunft denkt. Mit dieser Idee wäre sie vorn mit dabei. Ins Museum of Modern Art in New York kommt im nächsten Jahr die Großausstellung „Woven Histories: Textiles and Modern Abstraction“, die die Bedeutung von Textilkunst in der Moderne neu vermessen will. Und im Londoner Barbican Center ist schon jetzt „Unravel: The Power and Politics of Textiles in Art“ zu sehen.

„Vom Faden zur Form – Sofie Dawos Textilkunst zwischen Zero und Konkretion“, Kunsthaus Dahlem, bis 20. Mai

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