Nazi-Porträts auf Oldenburger Wandbild: Zu viel der Ehre
Ein Wandgemälde soll seit dem Herbst bedeutende Oldenburgerinnen würdigen. Aber mindestens zwei der Frauen waren Nazis.

Neben Sara-Ruth Schumann, der ehemaligen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Oldenburg, sieht man unter der Autobahnbrücke im Stadtteil Wechloy die Gesichter von Edith Ruß, Erna Schlüter und Emma Ritter.
Ruß war zwischen 1943 und 1945 Propagandistin für die Oldenburger NSDAP-Zeitung, rief zum Heldentod an der Front auf und war Verfechterin von „Volk und Vaterland“. Daneben war sie krasse Sexistin, was ihre Ehrung besonders skurril macht.
Ruß ist Stifterin des städtischen Edith-Russ-Hauses, das bestens über die Vergangenheit seiner Namensgeberin Bescheid weiß. Schon vor fast 25 Jahren hat die Galerie eine Biografie herausgegeben, die Ruß’ Tätigkeit bei dem NS-Blatt thematisiert, aber einige Lücken aufweist. Auf der Internetseite des Edith-Russ-Hauses fehlte bislang jeder Hinweis auf Ruß’ NS-Karriere. Nach taz-Veröffentlichungen hat die Stadt ein unabhängiges Gutachten zu Ruß’ Rolle im Nationalsozialismus angekündigt.
Schlüter stand auf Goebbels' „Gottbegnadeten-Liste“
Die Opernsängerin Schlüter sang zu Ehren Hitlers, Goebbels’ und der „Machtergreifung“, wurde von Hitler persönlich zur Kammersängerin ernannt und stand auf der „Gottbegnadeten-Liste“ des Propagandaministeriums. Ein Foyer im Oldenburgischen Staatsheater, eine Stiftung sowie ein Preis für Nachwuchssänger*innen tragen ihren Namen.
Die Erna-Schlueter-Operngesellschaft, mit der das Staatstheater eng zusammenarbeitet, pflegt ihr Andenken. Schlüters NS-Karriere ist seit Jahren bekannt. Trotzdem verschweigen auch das Staatstheater und die Operngesellschaft auf ihren Internetseiten ihre Vergangenheit. Auf taz-Anfrage erklärt die Operngesellschaft, Schlüter sei „unpolitisch“ gewesen.
Die Künstlerin Emma Ritter ist umstritten. Sie durfte ihre Werke noch im Kriegsjahr 1942 ausstellen.
Der Präventionsrat Oldenburg hat das Projekt koordiniert. Dessen Geschäftsführerin Melanie Blinzler erklärt: „Da fällt uns auf die Füße dass wir seit Langem zu wenig Frauenforschung haben. Unser Kenntnisstand schien uns ausreichend für die Aufnahme der Frauen in das Wandbild. Jetzt sehen wir, dass das nicht so ist. Wir werden uns um weitere Informationen kümmern und werden unsere Einordnung der Frauen prüfen.“ Landtagspräsidentin Naber begrüßt auf schriftliche Anfrage der taz die Auseinandersetzung mit den Biografien der Frauen, sagt aber auch, dass der Prozess Zeit brauche.
Aktion geplant
Auch die beauftragten Künstlerinnen erklären auf schriftliche Anfrage: „Hätten uns die heute bekannten Informationen vorgelegen, hätten wir den Auftrag in dieser Form abgelehnt.“ Sie setzen sich dafür ein, dass die betroffenen Porträts überstrichen werden.
Der Verein Institut für Verknüpfung e. V. hat den Kontakt zu den Künstlerinnen hergestellt. Ein Mitglied des Vorstands sagt: „Ich bin entsetzt. Wenn diese Personen in dieser Funktion tätig waren, gehören sie an keine Wand in Oldenburg. Man muss das Wandbild ändern und diese Personen werden von dieser Wand verschwinden.“ Deshalb plane man zusammen mit den Künstlerinnen eine zeitnahe Aktion.
Der Stadt sind die Nazis nicht aufgefallen, was beispielhaft für die Oldenburger Erinnerungskultur ist. Der völkische Antisemit Bernhard Winter ist Ehrenbürger der Stadt, Nazi-Dichter August Hinrichs wird weiter geehrt und auf eine Studie zu den Oldenburger Straßennamen vor über zehn Jahren, die unter anderem SA- und SS-Männer, Wehrwirtschaftsführer, NS-Ärzte und KZ-Unternehmer benannte, gab es aus der Politik keine Reaktion.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Gedenken an Hanau-Anschlag
SPD, CDU und FDP schikanieren Terror-Betroffene
Prozess gegen Maja T.
Ausgeliefert in Ungarn
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Bundestagswahl für Deutsche im Ausland
Die Wahl muss wohl nicht wiederholt werden
Trump, Putin und Europa
Dies ist unser Krieg