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Vorstadt-Großraumdisko-Hedonismus

KONZERT Entdeckungen unterm Schlesischen Tor: Die Bands Islet und I Heart Sharks rockten den neuen Club Bi Nuu

Den großen Unterschied macht Pierre Bee mit seinem Londoner Akzent und seinem verschmitzten, ironisch-proletarischen Gestus

Das Imperium weitet sich aus. Und hat vielleicht den Scheitelpunkt überquert. Am Mittwochabend jedenfalls zeigte sich erstmals der neue Laden unter der Hochbahn am Schlesischen Tor, früher geläufig „Kato“ geheißen, jetzt mit dem leicht dämlichen Namen „Bi Nuu“. Und damit hat sich das goldene Dreieck dann gebildet – bestehend aus der großen Halle, dem Lido an der Cuvrystraße, dem kleinen Club für das kleine Konzert, dem Comet in der Falckensteinstraße, und jetzt eben dem „Bi Nuu“, das Platz für ein angenehm mittleres Konzert bietet. Fehlt eigentlich nur noch die Mehrzweckhalle.

Das Bi Nuu ist aber in der Tat angenehm: schöner Schankraum mit Fensterfront nach draußen, oben irgendwo versteckt eine Raucherkammer, und der Saal mit gutem Blick zur Bühne. Schade, dass als Erstes die Akustik negativ auffiel – was sich im Laufe dieses Abends, der unter dem Zeichen der Fachzeitschrift Intro stand und als „Introducing“ drei „kommende“ Bands präsentierte, dann schließlich auch gab.

Drei kommende Bands: Zuerst spielten Islet aus Cardiff, Wales, die eine wirklich vielversprechende Mischung aus Progrock und neutribalistischer Psychedelica boten. Es wurde also viel und auf allem Möglichen herumgetrommelt, dazu gab es Passagen von dreistimmigem Sirenengesang, wobei festgestellt werden muss, dass Emma Daman, Frau unter drei Männern, die beste Stimme hat. Manchmal klang sie sogar entfernt nach Elizabeth Fraser von den Cocteau Twins. Überhaupt boten Islet, zu Deutsch „kleine Insel“, eine Variation, die so einfach mal kommen musste: Das Entgrenzte von Animal Collective hier, das Ätherische von Fraser da, nebenher ganz viel Kraut- und Progrock, und dann noch rabiate Metalparts, die so auch von Rage Against the Machine hätten stammen können. Gut.

Gar nicht so gut, vielmehr komplett überflüssig war dann die zweite Band mit dem schönen Namen Breton. Die stammt aus London und kommt sich komischerweise selbst nicht komisch vor, im Grunde eine 1:1-Kopie der Foals aus Oxford zu sein. Identisch bis zu der schnöseligen Art junger Professioneller – nur mit anderem, nicht ganz so schwul-fragilem, an sich selbst und der Welt leidendem Sänger. Braucht kein Mensch.

Dass die Foals, die bislang auch nicht viel mehr als eine anständige Platte gemacht haben, einen derartigen Einfluss zu haben scheinen, ist ohnehin erstaunlich. Auch auf die letzte Band des Abends, die dann doch recht gloriosen I Heart Sharks, haben die Foals nicht nur wegen des Tiernamens heftig eingewirkt: Man hört dieselben live eingespielten Discobeats (Georg Steinmaier am Schlagzeug ist gebürtiger Bayer), immer schön treibend und fast immer rechtzeitig gut auf die Zwölf; dazu dieselben perlenden HiLife-Gitarrengirlanden (Simon Wangemann, Berlin/New York). Den großen Unterschied macht Pierre Bee mit seinem Londoner Akzent, seinem verschmitzten, ironisch-proletarischen Gestus, dem Bad-Boy-für-Nice-Girls-Charme und den Unterhaltungskünsten, die gar nicht so weit von Robbie Williams entfernt sind. Ein paar Knalleffekte, schwarze, große Luftballons und ein einheitlicher, cooler und nicht blöder Dresscode (hellblaue Hemden!) – und fertig ist die Partyband mit guter Musik für Spaßmäuse mit Geschmack.

Angenehm ekstatisch also und dabei nicht so blöd wie Breton. Wangemann kann die Gitarre nämlich auch mal lassen oder anders spielen, die Band schafft sogar mal einen Mittelteil, und das Jammerlappige der Foals wird gegen einen Vorstadt-Großraumdisko-Hedonismus getauscht. Zum Ende hin gibt es dann noch den vierteldeutschsprachigen Hit „Neuzeit“. „Das ist eine neue Geschichte“, heißt es da. Gut los geht sie jedenfalls schon mal. RENÉ HAMANN

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