Regisseur über namibischen Film: „Geschichte auf den Kopf gestellt“
Perivi John Katjavivi hat mit „Under the Hanging Tree“ den ersten namibischen Film gedreht, der es zu den Oscars geschafft hat.
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taz: Perivi John Katjavivi, wie hat der deutsche Kolonialismus Ihr Leben geprägt?
Perivi John Katjavivi: Ich bin in Namibia aufgewachsen und die Geschichte des deutschen Kolonialismus war immer präsent. Auch in meiner Familie: Meine Ur-Ur-Großmutter hat den Krieg und den Völkermord an den Herero und Nama überlebt. Auf dem Land findet man noch immer unmarkierte Gräber oder Knochen, die von diesem über 100 Jahre alten Ereignis zeugen.
Wie befasst sich Ihr Film mit dieser Geschichte?
Der Film ist keine historische Rekonstruktion, aber er erzählt von gegenwärtigen Figuren, denen die Vergangenheit begegnet. Eine Polizistin muss für Ermittlungen auf eine deutsche Farm in eine ländliche Region, in der sich damals der Völkermord abspielte. Die Geschichte wird auf den Kopf gestellt, weil ein deutscher Farmer an einem Baum aufgehängt wird. Und zwar an einem Baum, an dem während der Kolonialzeit deutsche Soldaten Herero aufgehängt haben. Um den Fall zu lösen, muss sich die Polizistin mit ihrer eigenen Herero-Identität auseinandersetzen.
Basiert das auf eigenen Erfahrungen?
Ich bin wie die Protagonistin des Films in Windhoek aufgewachsen, der Hauptstadt Namibias. Und wie die Protagonistin bin ich in den ländlichen Regionen etwas fehl am Platz. Das ist ein ganz anderer Ort, an dem Herero-Traditionen viel präsenter sind. Wir haben den Film in Windhoek und einer Farm außerhalb der Stadt gedreht. Mein Leben lang schon bewege ich mich immer wieder zwischen genau diesen unterschiedlichen Räumen und Traditionen.
Wie zeigt der Film Traditionen?
Der Film ist voller Motive der Herero-Mythologie wie der Sonne und dem Mond. Auch das langsame Erzähltempo des Films ist inspiriert von Herero-Traditionen.
Film „Under the Hanging Tree“ und Gespräch mit Regisseur Perivi John Katjavivi: Fr, 23. Februar 2024, 18 Uhr, Cine K, Oldenburg
Ist es Ihnen wichtig, den Film in Deutschland zu zeigen?
Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen überhaupt nicht wissen, dass Deutschland für einen Völkermord in Namibia verantwortlich ist. Das ist nichts, worüber in der Schule gesprochen wird. Der Film kann hoffentlich dazu beitragen, dass wir mehr in den Dialog treten und die Vergangenheit aufarbeiten. In Namibia haben viele den Film geschätzt und wir hatten anschließend sehr gute Diskussionen.
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