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Erde, ernten, essen

Gärtnern in Schulen: Das Sozialunternehmen Acker bringt Schü­le­r:in­nen das Gemüse zum Erleben ins Klassenzimmer

In der Erde wühlen gehört auch zum Gemüseerlebnis Foto: Jens Büttner/ZB/picture alliance

Von Dierk Jensen

Es ist kein Dreck, es ist Erde! Es ist Leben, es ist der Nährboden fürs Essen, für Lebensmittel, letztlich für echten Reichtum. Dies als Kind „natürlich“ zu erfahren, mit Kinderhänden in die Erde greifen, sie zu spüren und zu riechen, ist jedoch in urban-medial-digitalen Lebenswirklichkeiten zu einer offenbar raren Erfahrung geworden. Den Kontakt zur Erde, zum Boden, zum Acker wieder neu zu beleben, das hat sich das Sozialunternehmen Acker mit ihrer GemüseAckerdemie auf die Fahnen geschrieben. „Wir wollen den Acker in die Schulen bringen und damit Kindern wie Jugendlichen ermöglichen, in einem grünen Klassenzimmer praktisch Natur zu erleben“, bringt es Sara Reichau, Sprecherin von Acker auf den Punkt.

Was meint sie damit? „Kinder sind heute in ihren Lebensumfeldern häufig von der Natur entfremdet“, erklärt Reichau. Aufgrund dessen können sie oft keine tiefere Verbindung mit natürlichen Prozessen und Landwirtschaft entwickeln, ihnen fehlt der Kontakt zu Pflanzen, zu Samen, zu Wachsen und Reifen und am Ende auch Ernten und Essen. Vielen Kinder fehlt in ihrem Körpergedächtnis das großartige Geschmackserlebnis, den ersten sauren Apfel im Obstgarten zu pflücken und safttriefend zu verspeisen. Diese fehlenden Erlebnisse manifestieren sich später oft im Essensverhalten. Es mangelt einfach an guten Erfahrungen, an einer gewachsenen natürlichen Balance zwischen Hunger und Wohlbefinden, letztlich ab einem intrinsisch gesunden Essverhalten.

All dies ist bei Weitem nicht nur ein Problem, sondern mittlerweile eine riesige zivilisatorische Herausforderung. Denn Kinder und Jugendliche von heute gieren oftmals nach ungesunden Fertigprodukten, die die Lebensmittelindustrie zudem noch offensiv bewirbt. „Dieses gesellschaftliche Problem wollen wir lösen, indem wir als gemeinnütziger Verein mit verschiedenen Bildungsprogrammen den Acker und damit den Anbau von Gemüse wieder in den Alltag von Schulen und Kindergärten integrieren“, so Reichau.

Mit diesem Ansatz haben die Akteure vom gemeinnützigen Verein Acker offene Türen eingerannt, weil die Defizite auch in der Bildungswelt längst erkannt worden sind. So fruchten die praxisorientierten und nach Richtlinien des ökologischen Landbaus konzipierten Bildungsangebote von Acker, 2014 vom Agrarwissenschaftler Christoph Schmitz gegründet, inzwischen mit großem Erfolg: Mittlerweile beteiligen sich schon über 1.000 Schulen und 600 Kindertagesstätten in Deutschland, in der Schweiz und Österreich an den Angeboten von Acker. So zählt das mittelständische Gemeinwohlunternehmen gegenwärtig 175 Mitarbeiterinnen und rund 500 Ehrenamtliche, die die Leh­re­r:in­nen beim Start in das Gartenabenteuer beraten und begleiten. Dabei ist Gärtnern eine zyklische und über das ganze Jahr angelegte Tätigkeit, bei dem der ganze Kreislauf durchschritten wird: von der Zubereitung des Beetes, der Furche, den Samen legen und die Saat säen; dann das Wässern, Pflegen, Jäten, bis hin zur Ernte und dem Mulchen und Eggen des Ackers für die nächste Periode.

Diese pädagogisch wertvolle und nachhaltige Arbeit – oder sagen wir: Unterricht – schätzen nicht nur die Beteiligten, sondern auch viele Krankenkassen, große Handelsunternehmen und auch Sozialversicherungsträger. Sie geben gerne und reichlich Geld für die Aktivitäten des Vereins, der im letzten Jahr nicht ganz zufällig den Deutschen Nachhaltigkeitspreis gewonnen hat (Artikel unten). „Das hat eine Wahnsinnsaufmerksamkeit gebracht“, konstatiert Sara Reichau und unterstreicht vor allem, dass man mit dem Thema aus der „Nachhaltigkeitsbubble“ kommend plötzlich in der ganzen Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Darüber freut sich sicherlich auch der aktuell viel gescholtene Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, der gerne als „Botschafter von Acker“ für die Wertschätzung von gesundem Essen wirbt.

„Ich will, dass jeder eine echte Wahl für gutes Essen bekommt. Leckeres, gesundes und nachhaltiges Essen darf nicht vom Geldbeutel abhängen oder davon, aus welcher Familie man kommt“, ist eine Kernaussage von Özdemir. Sein Ministerium hat eine neue Ernährungsstrategie „Gutes Essen für Deutschland“ auf den Weg gebracht, welche erst kürzlich im Kabinett beschlossen wurde. Dabei geht es im Zentrum darum, wie es gesamtgesellschaftlich gelingen kann, dass sich Heranwachsende besser, gesünder und ökologischer als bisher ernähren können.

Insofern trifft die Arbeit von Acker den politischen Nerv im Mark. Und so hat sich Acker für die Zukunft noch viel vorgenommen. „Wir wollen, dass an Schulen und Kindertagesstätten der Acker zu einem selbstverständlichen Bestandteil des Bildungsalltages wird“, sagt Reichau, selbst Mutter, ambitioniert. Dafür muss dann auch mal eine zubetonierte Fläche wieder freigelegt werden. Erst Entsiegelung, dann Bodenproben nehmen und schließlich wieder Ackern, um am Ende die selbst geerntete Möhre direkt im Beet oder in der eigenen Schulküche zu verzehren.

In einer geschmacksarmen Total-Digital-Welt überzeugt das Konzept. Die eigentliche Herausforderung derzeit, so verraten die Akteure von Acker, sei nicht fehlende Begeisterung bei Eltern oder Kindern. „Viele Leh­re­r:in­nen haben diese Art der Nachhaltigkeit selbst schon gar nicht mehr erfahren“, so Reichau. „Deswegen haben wir unser Angebot erweitert und arbeiten nun auch mit angehenden Päd­ago­g:in­nen in Unis.“