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Frauenpower vom Acker bis zum Teller

Da tut sich was: Auf dem diesjährigen Kongress der Biofach-Messe in Nürnberg diskutiert die Fachwelt der internationalen Biobranche die zunehmende Bedeutung von Frauen im Lebensmittelsektor für eine nachhaltigere Ernährungszukunft

Für die gesamtbetriebliche Konzeption ihres Hofs mit „Pioniergeist, Engagement und Herzblut“ erhielt Laura Kulows Familie den Bundespreis Ökologischer Landbau 2023 Foto: Bohlsener Mühle

Von Cordula Rode

„Schon lange setzen Frauen wichtige Impulse in der Lebensmittelwirtschaft“, sagt Tina Andres, Vorstandsvorsitzende des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). „Das beginnt bereits in der Familie, in der in den meisten Fällen die Frauen über die Ernährung entscheiden.“ Dabei haben aus ihrer Sicht Frauen eine völlig andere Herangehensweise an das Thema, setzen oft starke Impulse im Bereich der biologischen Lebensmittel und der Nachhaltigkeit. Immer mehr Frauen entwickeln strategische, ganzheitliche und wirtschaftliche Lösungen entlang der ökologischen Wertschöpfungskette und bringen dabei neue Ansätze und Wertmaßstäbe ein. „Frauen legen viel Wert auf die Wahrung fester Werte und denken dabei generationenübergreifend“, so Andres’Erfahrung. Auch der Umgang miteinander sei oft ein anderer als bei Männern und ermögliche häufig Lösungsfindungen abseits eingefahrener Hierarchien.

Die zunehmende Bedeutung und besondere Rolle von Frauen in Ernährung und Landwirtschaft ist ein wichtiges, bisher aber wenig beachtetes Thema. Zeit also, sich damit zu befassen – nicht zuletzt für die Ak­teu­r:in­nen selbst, die neben ökologischen auch soziale Ansprüche formulieren. BÖLW und IFOAM – Organics International, die Internationale Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen, machen das Thema zum Schwerpunkt der diesjährigen Biofach in Nürnberg. Auf der international wichtigsten Messe für Biolebensmittel treffen sich seit 30 Jahren Hersteller:innen, Lie­fe­ran­t:in­nen und Kund:innen, um sich zu präsentieren, zu informieren und zu vernetzen. In Kombination mit der Vivaness, der internationalen Messe für Naturkosmetik, gilt das Event als wichtigste Plattform für den Markt und zählte im vorigen Jahr rund 8.000 Be­su­che­r:in­nen aus aller Welt. Der Branchenhotspot bietet den optimalen Rahmen, aktuelle Themen und Entwicklungen in der Community voranzubringen und in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit zu rücken.

Voranzubringen gibt es noch einiges – auch hierzulande. Denn die Landwirtschaft ist noch weit entfernt von echter Geschlechtergerechtigkeit. Das vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geförderte Projekt „Die Lebenssituation von Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben in ländlichen Regionen Deutschlands – eine sozioökonomische Analyse“, durchgeführt Wissenschaftlerinnen des Thünen-Instituts für Betriebswirtschaft und der Georg-August-Universität Göttingen, unterstützt vom Deutschen Landfrauenverband als Kooperationspartner, präsentierte nach drei Jahren Laufzeit 2022 eher ernüchternde Ergebnisse. Nur elf Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland werden von Frauen geleitet – dabei gaben 72 Prozent der befragten 128 Frauen an, an strategisch-unternehmerischen Entscheidungen beteiligt zu sein, 62 Prozent sind für Buchhaltung, Finanzen und Büro verantwortlich. Trotz dieser großen unternehmerischen Verantwortung sind sie aber in den meisten Fällen nicht rechtlich am Betrieb beteiligt. Und obwohl es im Moment keine empirischen Studien darüber gibt, zeigt sich immer wieder, dass auch der Gender-Pay-Gap, also die unterschiedliche Bezahlung beider Geschlechter, enorm ist. Veraltete Geschlechterbilder und traditionelle Vererbungspraxen sind hohe Barrieren und erschweren Existenzgründungen für Frauen erheblich. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland damit bei den Schlusslichtern – im Durchschnitt werden in Europa rund 29 Prozent der Führungspositionen in der Landwirtschaft von Frauen besetzt.

Fortschritt entsteht durch neue Perspektiven: Gute Lösungen findet man oft abseits eingefahrener Hierarchien

„Dadurch entgehen der Landwirtschaft wichtige und notwendige Innovationen“, so Andres. „Die besonderen und eben oft sehr unterschiedlichen Herangehensweisen und Werte von Männern und Frauen würden sich perfekt ergänzen und neue fortschrittliche Ansätze ermöglichen.“ Beispiele wie das der Landwirtin Laura Kulow haben da noch eher Leuchtturmcharakter. Sie betreibt einen 500 Hektar großen landwirtschaftlichen Biogetreidebetrieb in Sachsen-Anhalt und gehört mit neun anderen Betrieben zu den Pionieren, die mit der Bohlsener Mühle die Regionalwert-Leistungsrechnung durchgeführt haben. Dabei wird der monetäre Wert der sozialen, ökologischen und regionalökonomischen Gemeinwohlleistungen von Landwirtinnen und Landwirten berechnet. Als eine der ersten zog sie aus den Ergebnissen konkrete Schlüsse und plant nun die Neuanlage eines Agroforsts, um ihre Leistung im Bereich „Schaffung von Lebensräumen“ nachhaltig zu verbessern.

Fragen nach Geschlechtergerechtigkeit stellen sich in der Biobranche nicht nur auf dem Acker. So geht auch Moin, ein norddeutscher Hersteller von Biobackwaren, neue Wege. Seit fast 30 produziert der Betrieb mit inzwischen rund 80 Mitarbeitenden Tiefkühlprodukte. Im vergangenen Jahr standen dort verschiedene Szenarien zur Unternehmensnachfolge zur Debatte – inner- und außerhalb der Gründerfamilie. Im Sommer, traten schließlich drei Frauen in die Geschäftsführung des Unternehmens ein. Vicky Leskien, Julianna Müller und Jule Usadel waren bereits seit einigen Jahren im Unternehmen beschäftigt und gaben selbst den Impuls für diese Option der Nachfolgeregelung. „Wir waren dann mehr als überrascht, dass dieser Schritt von außen als ‚innovatives Projekt‘ angesehen wurde“ erklärt Usadel. „Denn Moin stand schon immer für Diversität und Chancengleichheit – Kultur und Geschlecht hatten bei uns noch nie einen Einfluss auf Besetzung und Entlohnung von Stellen, weshalb sich die Konstellation mit drei Frauen einfach so ergeben hat.“ Dennoch ist den Frauen klar, dass weibliche Führungskräfte, die in der Wirtschaft dringend gebraucht würden, nicht überall solch optimale Bedingungen haben: „Da braucht es immer noch viel Mut.“