KIM TRAU POLITIK VON UNTEN
: Feminismus als Feindbild

Wenn eine Gesellschaft die Hälfte der Bevölkerung diskriminiert, was bedeutet das erst für Minderheiten?

Kristina Schröder hat es also getan. Die Bundesfrauenministerin hat ein Buch geschrieben, in dem sie sich damit brüstet, niemals eine Feministin sein zu wollen. Warum eigentlich nicht? Aus Angst, ihre einflussreichen Gönner zu vergraulen oder konservative Wähler_innen-Stimmen zu verlieren? Oder ist es einfach nur Arroganz und Überheblichkeit? Eine FDP-Politikerin sagte einmal, unter älteren Frauen und jüngeren Männern sei die Zustimmung zu gesetzlichen Maßnahmen zur Förderung von Frauen – und sei es eine Quote – höher als unter jungen Frauen und älteren Männern. Vielleicht fürchten die jüngeren Frauen die Konkurrenz oder sie sind noch immer fest in einem naiv patriarchalen Weltbild verwurzelt, dass sie glauben lässt, sie würden allein an ihrer Leistung gemessen.

Dabei wurde gerade erst eine Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes vorgestellt, nach der ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren Leuten größere Chancen auf einen Arbeitsplatz gibt, als sie diese wegen ihres Migrationshintergrundes, ihres Geschlechts oder einer Behinderung sonst haben. Leistung lohnt sich eben für manche mehr und für andere weniger. Und ausgerechnet eine Ministerin, die daran etwas ändern könnte, erklärt den Feminismus zu ihrem Feindbild.

Im Kern geht es um die Frage, ob man eine gleichberechtigte Gesellschaft möchte oder nicht. Solche Debatten zeigen aber leider, dass diejenigen, die es nach oben geschafft haben, nur wenig Interesse haben, dass ihnen andere nachfolgen können. Sonst würden sie die strukturellen Probleme stärker angehen.

Hier in Schweden erlebe ich jeden Tag, dass es auch besser geht. Kinder gehen hier bis zur neunten Klasse gemeinsam zur Schule, danach folgen drei freiwillige Jahre Gymnasium, und auch Kitas gibt es mehr als in Deutschland. Männer mit Kinderwagen sind kein ungewöhnlicher Anblick. Und vor allem: Die Bezeichnung als Feminist_in hat hier nicht den Charakter eines Schimpfwortes oder eines hässlichen Flecks, den man so schnell wie möglich loswerden möchte.

Für mich ist Feminismus unverzichtbar. Wer den Kampf gegen Sexismus und für die Gleichberechtigung von Frauen kleinzureden versucht, kann nicht ernsthaft gegen andere Formen der Diskriminierung vorgehen wollen. Wenn es eine Gesellschaft noch nicht einmal schafft, der Hälfte der Bevölkerung gleiche Chancen zu ermöglichen, was bedeutet das erst für Minderheiten? Der Aufschrei von Maskulinist_innen und der Vorwurf, Feminismus wäre nur ein anderer Weg, Leuten ihre Lebensführung vorzuschreiben, zeigt mir, dass ein Nerv getroffen wurde. Der Protest kommt allerdings von gerade jenen, die es sich bereits in den bestehenden Konventionen und Strukturen gemütlich gemacht haben oder das vorhatten. Aber nicht jede_r kann oder will das.

Die Autorin studiert Geschichte in Uppsala Foto: privat