was wir noch zu sagen hätten #2
: Für mehr Geduld beim Debattieren

Wir müssen wieder debattieren lernen. Wenn ich mir gegenwärtige Diskurse zu der Lieferung weiterer Waffen in die Ukraine oder der Begrenzung von Einwanderung anschaue, habe ich den Eindruck, dass politische Debatten über Emotionen geführt werden und wir das kons­truk­tive Streiten verlernt haben.

Aber wie geht das? Und wer bin ich, Sie zu belehren, dass man öfter der anderen Person zuhören, sich auf den anderen Standpunkt einlassen und erst mal davon ausgehen sollte, dass die andere Person nicht böswillig ist? Das liegt auf der Hand. Jedoch fällt es uns allen, so zumindest mein vorsichtiger Eindruck, zunehmend schwerer, diese Grundregeln zivilisierter Auseinandersetzungen einzuhalten.

Und bevor ich jetzt aus einem Gefühl heraus einen gesellschaftlichen Trend oberflächlich beschreibe – so ganz ohne Empirie auf wenig Platz, fange ich bei mir an mit der Selbstkritik und überlasse es Ihnen, ob Sie zu ähnlichen Ergebnissen kommen, wenn Sie Ihr eigenes Verhalten reflektieren.

Geduld scheint mein größtes Problem zu sein. Ich nehme mir selten die Zeit, mich in Ruhe mit den Argumenten auseinanderzusetzen, die Menschen vertreten, die fundamental andere politische Einstellungen besitzen als ich: Bei X eine Überschrift, einen kurzen Tweet gesehen, mich geärgert, dann weiter gescrollt, bis etwas kommt, was mir das Gefühl gibt, dass meine Argumente die besseren sind.

Hinter meinem Verhalten verbirgt sich eine gewisse Bequemlichkeit. Getreu dem Motto: Ich bin schon auf dem richtigen Weg. Die anderen brauchen vermutlich nur noch ein wenig, bis sie dahinterkommen, was ich schon längst begriffen habe. Sie merken, ich muss dringend an mir arbeiten. Aaron Gebler

Foto: Foto:  Anke Phoebe Peters

Aaron Gebler,geboren 1994 in Erkelenz und aufgewachsen in Pommern, ist Althistoriker an der Albert-Ludwigs-Uni Freiburg und taz-lab-­Redakteur.

Hier schreiben unsere Au­to­r*innen wöchentlich über den Osten. Oder was?