berliner szenen
: Apparät­chen und Augenmaß

Krank geworden. Zur Apotheke gefahren, Grippemittel gekauft. Nicht besonders nett bedient worden, in einer Sprache namens „Mürrisch“. Man scheint in dem Laden wohl keine Freude an freundlichen Kunden zu haben, denk ich beim Bezahlen, spare mir aber meine Worte. Draußen dann seh ich, dass sich hinter meinem Auto eine Mitarbeiterin der Parkraumüberwachung positioniert hat. Sie bedient bereits emsig ihren Apparat.

Nein, bitte nicht!, murmle ich vor mich hin. Entschuldigung, ruf ich mit halber, sprich: laryngitischer Stimme, mich nähernd, halt-halt-halt, sag ich, können Sie’s bitte rückgängig machen, ausnahmsweise? Die Mitarbeiterin sieht mich ruhig an, fast neugierig. Lässt mich ausreden. Ich komme gerade aus der Apotheke, hab Grippe, präzisiere ich. Hab den Parkschein vergessen, tut mir leid, sag ich, sonst denk ich immer dran, nur heute nicht, bin ziemlich lädiert. Ich zeige ihr die Hustenmittel, die ich eben gekauft habe, samt Quittung und Maske halt ich sie in der Hand. Sie nickt. Ich leg mich jetzt gleich wieder ins Bett, krächze ich. Sie senkt den Blick hin zu ihrem Apparätchen, drückt eine Tastenkombination, und schenkt mir die Worte: „In Ordnung. Ruhen Sie sich gut aus.“ Ich bedanke mich. Augenmaß, Mitmenschlichkeit – und das im technisierten Zeitalter, und das seitens der Parkraumüberwachung!

Ich setze mich ermattet ins Auto. Leicht abgewandeltes Déjà-vu-Erlebnis der Knöllchenszene in Aki Kaurismäkis Film „Ariel“. Nur zur Sicherheit blicke ich deswegen kurz noch neben mich, aber nein, ich bin ganz allein im Auto (im Übrigen kein Cabriolet). Die Mitarbeiterin setzt in einiger Entfernung ihre Arbeit fort. Ihre Worte klingen in mir nach. Wohltuend! Länger nicht mehr erlebt auf diesem rauen Pflaster namens Berlin. Ganz unerwarteter Genesungsbooster.

Felix Primus