Schweizer*in­nen abgehört: Eine NSA für die Schweiz?

In der Schweiz wurde ein System zur systematischen Überwachung des Internetverkehrs aufgebaut. Versprochen hatte die Regierung das Gegenteil.

Ein Gebäude hinter einem Maschendrahtzaun

Neben dem Nachrichtendienst des Bundes sitzt hier auch das Departement für Ver­teidigung, Bevölkerungsschutz und Sport Foto: Peter Klaunzer/keystone/picture alliance

Es würde keine Massenüberwachung geben. Das versprachen der Schweizer Bundesrat und der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) 2016 im Abstimmungskampf zum Referendum über das überarbeitete Nachrichtendienstgesetz.

Mit der sogenannten Kabelaufklärung würden insbesondere keine Schweizer Bür­ge­r*in­nen überwacht. Das Gesetz sei so eng gefasst, dass „dieses Mittel nur gegen konkrete Bedrohungen eingesetzt werden kann und eine flächendeckende Überwachung aller Bürgerinnen und Bürger ausgeschlossen ist“. Das Ziel sei lediglich, grenzüberschreitenden Datenverkehr in sensible Regionen zu erfassen. Die „rein inländische Kommunikation“ sei nicht betroffen.

Gekommen ist es anders. Das zeigt eine ausführliche Recherche der Onlinemagazins Republik. Seit das Gesetz in Kraft ist, wird mit der Kabelaufklärung der schweizerische Internetverkehr systematisch überwacht, nach Stichworten durchsucht und ausgesonderte Inhalte auf Vorrat gespeichert. Die Behörden können sämtliche Kommunikation nach Personennamen, Telefonnummern, Bezeichnungen für Waffensystemen oder sonstigen Begriffen durchforsten.

Schweizer „Mini-NSA“

Die Warnungen vor einem „Schnüffelstaat“, vor einer Schweizer „Mini-NSA“ haben sich bewahrheitet. Auch vor einem „Fichenstaat 2.0“ wurde gewarnt, in Anlehnung an den sogenannten Fichen-Skandal (vom Französischen „fiche“ für Akte) am Ende des Kalten Kriegs, als bekannt wurde, dass der Schweizer Geheimdienst fast eine Million Bür­ge­r*in­nen überwacht hatte.

In den Jahren nach der Umsetzung des Gesetzes entstand eine besorgniserregende Diskrepanz zwischen den offiziellen Versprechungen und der tatsächlichen Umsetzung. Die anfänglich betonte Begrenzung auf konkrete Bedrohungen scheint einem umfassenderen Ansatz gewichen zu sein.

Das ist erst klar, seit der NDB vor dem Bundesverwaltungsgericht über die Grundfrage Auskunft geben musste: Wie funktioniert die Kabelaufklärung auf technischer Ebene? Hintergrund ist ein seit 2017 währender Rechtsstreit zwischen Aktivist*innen, Jour­na­lis­t*in­nen und An­wäl­t*in­nen einerseits und dem NDB andererseits. Gemeinsam mit der NGO „Digitale Gesellschaft“ fordern sie, dass in ihren Fällen keine Kabelaufklärung angewendet werden dürfe, weil diese eine Grundrechtsverletzung darstelle.

Die Idee dahinter: Bekommen die Be­schwer­de­füh­re­r*in­nen recht, würde das System der Kabelaufklärung in sich zusammenbrechen. Denn um die interessanten Daten zu finden, muss der NDB sämtlichen Internetverkehr filtern. Zwar versucht der Nachrichtendienst in den Ausführungen vor Gericht diese technische Banalität zu verschleiern. Er behauptet, es würden nur einzelne Verbindungen, die die Schweiz mit dem Ausland verbinden, abgehört.

Schwei­ze­r*in­nen „aus Versehen“ abgehört

Damit gibt der NDB vor, in der Lage zu sein, Faserverbindungen erkennen zu können, die zum Beispiel Kommunikation zwischen der Schweiz und Syrien „enthalte“. Das ist falsch, denn die Wege, die unsere Daten durch das Internet nehmen, wechseln ständig – und sie nehmen auch nicht zwingend den physisch kürzesten Weg.

Das betrifft auch die Kommunikation innerhalb der Schweiz. Eine E-Mail von Bern nach Basel nimmt in der Regel einen Umweg übers Ausland. Das räumt der NDB in den Stellungnahmen sogar selbst ein. Man könne den Datenverkehr zwischen Schwei­ze­r*in­nen nicht von vorneherein rausfiltern. Das sei „technisch unmöglich“, bestätigt der NDB gegenüber der Republik. Erst nach der Sichtung der Daten könne man erkennen, falls „aus Versehen“ die Kommunikation von Schweizer Ein­woh­ne­r*in­nen mitgeschnitten wurde.

Mit anderen Worten: Damit die Kabelaufklärung funktioniert, muss sämtlicher Internetverkehr im Visier sein. Das bedeutet auch, dass die zuständigen Ana­lys­t*in­nen die herausgefilterten Datenströme manuell und inhaltlich prüfen müssen – damit jene Inhalte wieder entfernt werden, die gesetzlich nicht erfasst werden dürfen. Gegenüber dem Schweizer Fernsehen behauptet der NDB dennoch weiter, nur Informationen zu bearbeiten, „die den definierten und genehmigten Suchbegriffen entsprechen“.

Konsequenzen dürften die Enthüllungen kaum haben. 2016 votierten fast zwei Drittel der stimmberechtigten Bevölkerung für das Gesetz. Und aktuell versucht der Bund, die bisherige Praxis des NDB mit einer Gesetzesrevision zu legalisieren.

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