Deutscher Tennis-Erfolg: Das späte Werden
Beim Gewinn des United Cups der Tennisprofis ragt die deutsche Doppelspezialistin Laura Siegemund aus dem Dreier-Team heraus.
Als Laura Siegemund (35) im Herbst 2020 zusammen mit ihrer russischen Partnerin Vera Zwonerewa den US-Open-Doppeltitel gewann, kreierte TV-Experte Boris Becker den Spitznamen „Laura Überall“. Siegemund wirkt tatsächlich in ihren besten Momenten schier unbezwingbar.
Nun hat sie mit den Teamkollegen Angelique Kerber und Alexander Zverev den United Cup gegen Polen gewonnen; das ist ein Tenniswettbewerb für Nationalmannschaften, bestehend aus Damen und Herren, die im Einzel und im Mixed antreten. Er ist Bestandteil sowohl der WTA Tour als auch der ATP Tour und wird zum jeweiligen Saisonauftakt der Tour ausgetragen, heuer in Sidney.
Die wichtigste Figur im deutschen Tennistrupp war Siegemund, eine Frau, die jenseits der 30 zu ihrer stärksten Form aufgestiegen ist. So eindrucksvoll agierte die Doppelspezialistin bei ihren Mixed-Auftritten an der Seite von Zverev, dass der Olympiasieger schon vorm Finalsieg konstatierte: „Ich saß auf der Rückbank und konnte Lauras Show genießen.“ Unfassbar fand Siegemund selbst den jüngsten Titelcoup: „Das ist jetzt mal der Hammer.“
Siegemund gehört eigentlich in die Altersgruppe jener Tennisspielerinnen in Deutschland, die gern als „goldene Generation“ bezeichnet wurde. Kerber gehörte dazu, auch Julia Görges, dazu Andrea Petkovic und Sabine Lisicki. Die Schwäbin blieb lange Zeit im Schatten, auch weil sie nach einem schlagzeilenträchtigen Start in ihr Tennisleben – dem Sieg beim Orange Bowl (Jugend-WM) in Florida mit zwölf Jahren – mehr Tiefen als Höhen durchlebte und schließlich erst 2015 ihr Grand-Slam-Debüt feiern durfte.
Rückschlag durch Kreuzbandriss
Schnell preschte sie dann in der Weltrangliste empor, holte den Mixed-Pokal bei den US Open, gewann 2017 sogar sensationell das Turnier-Heimspiel beim Stuttgarter Grand Prix, nur um die nächste bittere Enttäuschung einstecken zu müssen – beim WTA-Wettbewerb in Nürnberg erlitt sie einen Kreuzbandriss, laborierte zwei Jahre an der Verletzung herum.
Wo andere nach all den Widrigkeiten längst aufgegeben hätten, ließ sich Siegemund nicht entmutigen. Und schaffte als Ü30-Spielerin die größten Erfolge. Everybodys Darling ist Siegemund nicht gerade im Wanderzirkus, kein Wunder, reizt sie doch mit allerlei Mätzchen und Marotten das Regelwerk bis zur Schmerzgrenze aus. „Ich will und muss nicht von meinen Gegnerinnen geliebt werden“, sagt Siegemund. In ihrer Bachelorarbeit hat sich die Psychologie-Studentin einem nicht unwichtigen Bereich zugewandt: „Versagen unter Druck“ – und bestimmt daraus gelernt.
Von Versagen konnte in den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten keine Rede sein bei der Schwäbin. Erst gelangte sie mit ihrer Partnerin Zwonerewa ein weiteres Mal ins US-Open-Doppelfinale, dann hatte sie mit ihrer Partnerin bei der WTA-Weltmeisterschaft im mexikanischen Cancun das letzte Wort. Und nun auch noch der Sieg beim United Cup, dem Nachfolgewettbewerb des legendären Hopman Cup, der einst zweimal nach Deutschland ging – mit Michael Stich/Steffi Graf im Jahr 1993 und Boris Becker/Anke Huber 1995.
In der Gruppenphase schmorte Siegemund nun zum Jahreswechsel 23/24 noch seltsamerweise auf der Ersatzbank, das Mixed bestritten anfangs Zverev und Kerber. Doch in allen drei Knockout-Partien war dann „Laura Überall“ im Einsatz, mit makelloser Bilanz. In den sozialen Medien wurde sie als MVP (Most Valuable Player) Deutschlands gefeiert, als wertvollste Arbeitskraft bei den Nachtschichten, die mitunter bis halb drei Uhr gingen.
2024 könnte für Siegemund noch Großes bereithalten. Denn nach einem umfassenden Personalwechsel in der Doppelszene geht die 35-Jährige ab dieser Woche in Adelaide mit der Tschechin Barbora Krejcikova an den Start. Vieles scheint für diese Kombination möglich, für Siegemund persönlich aber auch der Sprung auf Platz eins der Doppel-Rangliste.
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