Kein Weihnachtsfriede in Belgrad

Vor dem Belgrader Rathaus kommt es zu Tumulten, die Polizei reagiert mit Gewalt. Weil die Regierung die Wahlregister verschlossen hält, dürften sich die Proteste noch ausweiten

Protest am 25. Dezember vor dem Polizeihauptquartier in Belgrad Foto: Zorana Jevtic/reuters

Von Florian Bayer, Wien

Die Proteste gegen die serbische Regierung gehen unvermindert weiter. Zehntausende zogen an den Weihnachtsfeiertagen durch die Straßen Belgrads, um gegen die unsauberen und wohl verfälschten Parlamentswahlen zu protestieren. Die regierende Partei SNS entschied die Parlamentswahl mit angeblich 48 Prozent für sich, gleichzeitig wurde auch die Lokalregierung in Belgrad gewählt. Doch Wahlbeobachter, das EU-Parlament und die OSZE kritisierten schwerwiegende Ungereimtheiten, vor allem bei der Zusammensetzung von Wählerregistern.

Insbesondere am Heiligen Abend drohte die Lage zu eskalieren. Demonstrierende versuchten das Belgrader Rathaus zu stürmen, wurden aber von hart agierenden Polizeikräften aufgehalten. Die Polizei ging aber auch andernorts gegen friedlich Demonstrierende brutal vor, wie Videos verprügelter Studierender zeigen. Auch Tränengas wurde eingesetzt. „Das autoritäre Regime zeigt sein wahres Gesicht“, kommentierte der Wiener Balkanexperte Vedran Dzihic auf X. Berichten zufolge sind mehrere Polizisten verletzt und 38 Demonstrierende festgenommen worden.

Eine der Hauptforderungen der Protestierenden ist eine Öffnung der Wählerregister. Das lehnt die Regierung bisher aber ab. Tatsächlich gibt es Berichte falscher Wahllisten sowie von Kopien ausgefüllter Stimmzettel. Politikwissenschaftler Dzihic kritisierte in der österreischien Zeitung Standard, dass Vučić „massenweise“ Menschen aus der Republik Srpska zu den Wahlbüros herankarren ließ, Wahllisten seien verfälscht worden. Und die regierende SNS, „mit 750.000 Mitgliedern eine der weltweit größten Parteien gemessen an der Bevölkerungszahl“, habe viele Wählerinnen und Wähler im Vorfeld mit Arbeitsplätzen und Geldzahlungen „gekauft“. Präsident Aleksandar Vučić, der selbst gar nicht zur Wahl stand, habe außerdem mehr als 90 Prozent der Berichterstattung für sich beanspruchen können.

Die Studierenden wollen die Proteste auf ganz Serbien ausweiten, sollte die Regierung den Forderungen bis Mittwoch nicht nachkommen, wonach es derzeit nicht aussieht. Für den 30. Dezember ist schon eine Großdemo in Belgrad geplant. Vučić ging bisher nicht auf die Kritik ein. Vielmehr drehte er den Spieß um und warf der Opposition vor, die Wahl beeinflusst zu haben. Auch forderte er in seiner Jahresabschlussrede am 24. Dezember diejenigen Parlamentarier, die nun in die zweite Woche eines Hungerstreiks gehen, auf, diesen zu beenden.

Die längste Zeit der Pressekonferenz lobte er das Programm seiner Regierung, etwa aus seiner Sicht erfreuliche Budgetzahlen und Steigerungen der Pensionen und Beamtenlöhne. Der Mindestlohn liege nun bei über 47.000 Dinar, also 400 Euro. Vučić betonte einmal mehr, die Unabhängigkeit des Kosovo nicht zu akzeptieren. Diesbezüglich erwarte er eine „breite Kontroverse im Januar“.

Auch attackierte er den österreichischen Bundesratsabgeordneten Stefan Schennach (SPÖ), der die Wahlbeobachtungsmission des Europarats leitete. Schennach sei bekannt dafür, auch in Österreich schon Stimmen gestohlen zu haben, sagte Vučić. Die Vorwürfe entbehren jeder Grundlage. Zuvor hatte bereits Premierministerin Ana Brnabić Schennach und einem weiteren Wahlbeobachter vorgeworfen zu lügen. Die beiden hätten die Missstände bei der Wahl erst im Nachhinein, nicht aber vor Ort kritisiert, so Brnabić. Beide Politiker widersprachen vehement.

Die Beobachter der OSZE und des Europaparlaments kritisieren schwere Wahlmängel

Tatsächlich stellten sowohl die OSZE, als auch das Europäische Parlament „den Missbrauch öffentlicher Mittel, die mangelnde Trennung zwischen offiziellen Funktionen und Wahlkampfaktivitäten, Einschüchterung und Druck auf Wähler sowie Fälle von Stimmenkauf“ fest.

Am Montag traf Vučić den russischen Botschafter Aleksandr Botsan-Kharchenko. Der wirft dem Westen vor, die Proteste anzuheizen und ein „Maidan-Szenario“ zu konstruieren – dafür gebe es „eindeutige Hinweise“, die der Botschafter jedoch nicht vorlegte. Grund der „Destabilisierungsversuche“ sei die ablehnende Haltung Serbiens zu antirussischen Sanktionen, behauptet der Diplomat. Wahr ist vielmehr, dass Russland und die zunehmend autoritär agierende Regierung Vučić für die Instabilität im Land verantwortlich sind. Experten zufolge ist Serbien seit Jahren Einfallstor für russische Interessen in Europa.