Musik als Handelsware: Der Paukenschlag
Die Broadcasting Music Inc. wurde kürzlich von einer Investorengruppe aufgekauft. Was findet ein Hedgefonds wohl an einer Verwertungsgesellschaft?
E s gehört zu den feuchten Träumen eines jeden anständigen neoliberalen Ultras, dass irgendwann alles eine Handelsware ist, jede Idee, jeder Gedanke, jeder feuchte Traum. Das gute alte Copyright US-amerikanischer Prägung ist bereits ein Schritt in diese Richtung, denn ihm liegt das Anliegen zugrunde, künstlerische Inhalte handelbar zu machen (anders als beim ihm verwandten Urheberrecht europäischer Prägung, bei dem es zumindest ursprünglich darum ging, künstlerische Inhalte vor böser Bearbeitung zu schützen).
Die aktuellen Vorgänge rund um die US-Verwertungsgesellschaft BMI (Broadcasting Music Inc., nicht zu verwechseln mit dem Body-Mass-Index) deuten darauf hin, dass die Verwirklichung dieses Traums einen weiteren Schritt näher gerückt ist.
Eine Verwertungsgesellschaft besitzt selbst keine Rechte, sondern lässt sich lediglich von Komponist*innen, Textdichter*innen und Verlagen Rechte zur Auswertung übertragen. Sie übernimmt die Abrechnung und das Inkasso etwa bei Radio- und TV-Sendern, Tonträgerherstellern, Streamingdiensten, Clubbetreibern, Weihnachtsmarktveranstaltern und so weiter. Dabei entsteht kein Gewinn, bei der Verwertungsgesellschaft verbleibt lediglich eine Bearbeitungsgebühr. Daher agieren sie meistens als Non-Profit-Organisationen, die deutsche Gema etwa als „wirtschaftlicher Verein“.
BMI wurde 1939 von einigen US-Radiostationen gegründet, als die Verwertungsgesellschaft ASCAP ihre Sätze für Radioeinsätze drastisch nach oben setzte. BMI warb Komponist*innen und Textdichter*innen an, und etliche Stationen schickten nunmehr ausschließlich BMI-Repertoire über den Äther, bis 1941 das US-Justizministerium eine Einigung zwischen den Radiostationen, ASCAP und BMI vermittelte.
Fortan konkurrierten in den USA zwei mächtige Verwertungsgesellschaften um Repertoire, wobei BMI zuletzt erfolgreicher war und im Fiskaljahr 2022 1,4 Millionen Autor*innen vertrat, 22,4 Millionen Kompositionen verwaltete, rund 1,6 Milliarden US-Dollar an Lizenzzahlungen einnahm und davon 1,5 Milliarden an seine Mitglieder ausschüttete.
Nicht mehr non, sondern „for-profit“
Im letzten Jahresbericht gab BMI nun bekannt, dass sie ihre Rechtsform wechseln will: von einer Non-Profit- zu einer „For-profit“-Organisation. Wenige Monate später die zweite Ankündigung: ein Heraufsetzen der Bearbeitungsgebühr von 10 auf 15 Prozent. Ende November nun der Paukenschlag: Eine Investorengruppe um den Hedgefonds New Mountain Capital kauft BMI.
Was könnte ein Hedgefonds, dessen Geschäftsmodell es ist, Firmenbeteiligungen zu erwerben, die Firmen entweder zu filetieren, an die Börse zu bringen oder durch Umstrukturierungen mit möglichst großem Gewinn wieder abzustoßen, an einer Verwertungsgesellschaft sexy finden, deren Business in weiten Teilen durch das US-Justizministerium reguliert wird? Die offiziellen Antworten sind wie erwartet nebulös: Von der „Erschließung neuer Geschäftsfelder“ und der „Implementierung neuer Technologien“ ist die Rede, aber auch vom „innovativen und wirtschaftlichen Drive einer For-profit-Organisation“, so New-Mountain-Head Mike Oshinsky.
New Mountain stemmt den Deal allerdings nicht alleine, sondern im Verbund mit anderen Investoren. Darunter befindet sich auch CapitalG, eine Venture-Capital-Tochterfirma der Google-Mutter Alphabet. „Nach 20 Jahren des Kampfes gegen den größten Copyrightverletzer der Geschichte hat BMI ihn jetzt zum Familienmitglied gemacht“, kommentierte der Blogger Chris Castle im „MTP – Music Technology Policy Blog“.
Und in Bezug auf ein Pressefoto, das die BMI- und die New-Mountain-Geschäftsführung in fröhlicher Verbundenheit zeigt, fügt er hinzu: „All diese lächelnden Menschen haben einen Grund für ihr Lächeln. Es geht ihnen nicht um Songs, Songwriter*innen oder Künstler*innenbeziehungen. Es geht ihnen um Data, Tech und all die haarsträubenden Vorstellungen, wie das Musikgeschäft in ihrem Utopia funktionieren sollte.“ In dem Sinne: ein fröhliches neues Jahr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vermeintliches Pogrom nach Fußballspiel
Mediale Zerrbilder in Amsterdam
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Berichte über vorbereitetes Ampel-Aus
SPD wirft FDP „politischen Betrug“ vor
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Toxische Bro-Kultur
Stoppt die Muskulinisten!
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“