Nur noch vier Siege

Die Slowaken sind die große Überraschungself der WM-Qualifikation – und auf bestem Weg nach Deutschland

LISSABON taz ■ Im Tagungssaal Hibiscus haben die Manager von Mazda Portugal den Vormittag über Strategien diskutiert. Nun ist endlich Mittagspause. Aber die wenigsten drängen in den Speisesaal. Die meisten bleiben im Foyer des Hotels Solplay auf den Hügeln Lissabons. Gespielt gleichgültig und in Wahrheit doch aufgeregt essen sie mit den Augen die jungen Männer auf, die dort herumlümmeln. Bis es einer der Automanager nicht mehr aushält. Er flüchtet auf die Terrasse und lässt über sein Handy die Aufregung raus: „Die Slowaken sind bei uns im Hotel!“

Bislang wurde die slowakische Fußball-Nationalelf noch nicht zu den Dingen gezählt, die Männer dazu bringen, sich umzudrehen. In Lissabon jedoch kamen am Samstag 62.000 Zuschauer ins Stadion des Lichts, um Portugals Partie gegen die Slowaken zu sehen, denn es war ein richtiges Spitzenspiel. Die Slowakei ist der widerspenstigste Widersacher des EM-Zweiten in einer WM-Qualifikationsgruppe, in der eigentlich Russland und Lettland als Herausforderer vorgesehen waren. Und auch wenn Portugal ihnen mit 2:0 die erste Niederlage im siebten Spiel beibrachte, so ist die Slowakei noch immer auf dem besten Weg, 2006 in Deutschland der überraschendste WM-Teilnehmer zu werden. Lettland etwa haben sie 4:1 besiegt, in Russland ein 1:1 erstritten. Am Mittwoch schon soll gegen Luxemburg der nächste Schritt erfolgen, um als Gruppenzweiter hinter Portugal zum ersten Mal in der jungen Geschichte des Landes eine Meisterschaft von innen zu erleben.

Es ist verblüffend, dass es die Slowakei ist. Aber es ist längst keine Überraschung mehr, dass es solche Überraschungen gibt. Mitte der Neunziger verwandelte sich der Fußball für immer, er wurde eine weltweite Freihandelszone. Der Ausverkauf der schwächeren nationalen Vereinsligen wurde beschrien, weil nun plötzlich massenweise Norweger in England spielten, Bulgaren in Deutschland oder Kroaten überall. Doch für die Auswahlteams der kleinen Nationen war es der Beginn der Goldzeit. „Es ist jetzt egal, ob du 20 Millionen Menschen hast, die Fußball spielen, oder wie wir nur fünf Millionen Einwohner“, sagt Miroslav Karhan vom VfL Wolfsburg, „für eine gute Elf brauchst du nur 10, 20 Spieler, die in qualitätsvollen Ligen im Ausland spielen.“

Norwegen bei der WM 1994 war der erste, seitdem scheint ein Platz in der Endrunde für einen Überraschungsgast quasi reserviert. Slowenien übernahm die Rolle 2000 und 2002, Lettland 2004. Warum nun womöglich die Slowakei? Igor Demo gibt einem großzügig Zeit, um die Frage zu besprechen. „Rufen Sie morgen an – außer zwischen 13 und 14 Uhr.“ Da ist schon zu merken, dass er im Urlaub ist; wenn das Mittagsessen die einzige Verpflichtung des Tages ist. Vor vier, fünf Jahren wäre er, 29 und seit acht Jahren im Ausland tätig, unverzichtbar für seine Nationalelf gewesen. Doch nun hat Borussia Mönchengladbach dem Mittelfeldspieler gekündigt, und der gute Ruf allein reicht nicht mehr, um für die Auswahl zu spielen. Trainer Dusan Galis hat mittlerweile Alternativen: Nur zwei der 20 Spieler im derzeitigen Aufgebot spielen noch in der slowakischen Liga, „wir sind kein kleines Land mehr, dass Angst vor großen Namen wie Deco oder Figo hat“, sagt Demo, „warum auch, die meisten von uns spielen jeden Samstag mit ihren Klubs gegen solche Leute.“

Es braucht keine Geheimnisse, um es als Überraschungsgast zu einer WM zu schaffen, sondern immer nur dasselbe: einen harten Kern von sechs, sieben Qualitätsspielern, einen Trainer mit klarem Konzept, einen guten Lauf. Die Slowakei hat Marek Mintal, mit 24 Toren für den 1. FC Nürnberg der treffsicherste Spieler der Bundesliga, der – und das ist nun tatsächlich eine Überraschung – mit dem Aufschwung gar nicht so viel zu tun hat. In Lissabon klebte er im Drei-Mann-Angriff zu sehr auf dem linken Flügel, auch sonst lief er in der Qualifikation eher gut mit anstatt voran. Vielleicht weil er sich im Nationalteam immer noch als Juniorpartner des etablierten Szilard Nemeth vom FC Middlesbrough fühlt? Der mächtige Verteidiger Stanislav Varga von Celtic Glasgow, Karhan und Peter Hlinka von Rapid Wien im Zentrum bilden mit Nemeth das Rückgrat der Elf, die sauber und schnell nach vorne spielt. Vier Siege in den ausstehenden fünf Spielen, weiß Karhan, und sie wären am Ziel. RONALD RENG