Wenn der Körper nicht mehr mitspielt

Stress, Panikattacken und Schmerzen durch stundenlanges Üben: Viele Be­rufs­mu­si­ke­r*in­nen leiden unter gesundheitlichen Problemen. Das Hamburger Zentrum für Berufsmusiker kümmert sich um sie. Auch am Universitätsklinikum Eppendorf gibt es eine Sprechstunde

Manchmal hilft nur noch Physiotherapie: Schulter, Rücken, Handgelenk sind bei Gei­ge­r*in­nen besonders gefährdet Foto: Marcus Brandt/dpa

Von Sven Bleilefens

„Dieses Musikerdasein ist sehr, sehr, sehr vergleichbar mit dem absoluter Leistungssportler“, sagt der Geiger Bogdan Dumitrascu. Wenn der Körper nicht mitspiele, sei die Berufsausübung dahin. Während eine professionelle Versorgung etwa im Fußball laut Dumitrascu „selbstverständlich“ sei, sieht das Bild in der Musikbranche anders aus: „Wir haben nichts“, meint der Violinist. Also fast nichts.

In Hamburg gibt es das Zentrum für Berufsmusiker, das unter Mitbegründerin Heidi Brandi vor zehn Jahren mit dem Ziel einer professionellen gesundheitlichen Betreuung für Musizierende entstanden ist. Abgedeckt werden in dem speziellen Angebot sowohl psychische wie auch körperliche Anliegen von Musizierenden. Das Team des Zentrums umfasst derzeit acht Kooperationspartner. Die Hälfte sind Psychotherapeut*innen, weitere Personen kümmern sich um die Bereiche der sogenannten Dispokinesis, eine Körperarbeit, die gezielt auf die Bedürfnisse von Musizierenden hin entwickelt worden ist; um Physiotherapie, Yoga sowie die Mimikresonanz, eine Beschäftigung mit nonverbaler Kommunikation. Welcher dieser Bereiche für eine Therapie geeignet ist, entscheidet sich nach einer ersten Sprechstunde. Insgesamt betreut das Zentrum rund 120 Pa­ti­en­t*in­nen gleichzeitig.

Bogdan Dumitrascu kennt die Einrichtung schon lange, er kommt seit Jahren ungefähr einmal im Monat zur Physiotherapie. Der 46-Jährige spielt seit 2002 die 1. Geige im Philharmonischen Staatsorchester Hamburg und hatte vor Jahren mit starken Rückenschmerzen zu tun. Über seine Hausärztin ist er dann auf das Zentrum gestoßen. Zunächst mussten die Ziele geklärt werden, man habe ihm gesagt: „Ich kann dich sehr gerade hinbiegen, aber dann kannst du nicht mehr Geige spielen.“ Doch Dumitrascu wollte eben nicht „gerade wie ein Model rumlaufen, sondern Geige spielen ohne Schmerzen“. Der Violinist sagt, er komme heute zur Prävention, damit er bis zum Rentenalter leistungsfähig sei.

Typische Problemstellen für die als besonders gefährdet geltenden Geiger*innen: Rücken, Schulter, Handgelenk. Zu seinem Musiker­alltag gehören nicht nur tägliche Auftritte, sondern auch stundenlanges Üben, das Spielen des Ins­truments in eine Richtung geneigt und im Sitzen.

Laut einer Studie des Deutschen Musikerinformations­zentrums machen mindestens 150.000 Menschen in der Bundesrepublik beruflich Musik, doch nur 30 Prozent können dies, wie Dumitrascu, ohne zusätzliche Nebentätigkeiten tun. Sie verbringen dann im Durchschnitt 37 Stunden in der Woche mit der Musik, teilweise sind es über 50 Stunden.

Im Gegensatz zum Profisport streben die wenigsten Mu­si­ke­r*in­nen ein Karriereende im Alter von Mitte 30 an. Sandra Klug von der Verbraucherzentrale Hamburg sagt der taz: „Berufsmusizierende gegen das Risiko Berufsunfähigkeit abzusichern, ist nicht einfach und zudem auch sehr teuer. Berufsmusizierende werden sicherlich als hoch risikoreich eingestuft.“ Sie rechnet vor: Eine heute 33 Jahre alte Person müsse monatlich etwa 250 Euro im Monat für eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.500 Euro zahlen.

Am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf gibt es seit April 2019 ebenfalls eine Sprechstunde für Musizierende. Dort heißt es: „Bitte bringen Sie zum Beratungstermin neben Ihrer Versichertenkarte auch Ihr Musikinstrument mit.“ Die Ambulanzbehandlungen werden über die Krankenkasse abgerechnet, Zuzahlungen entstehen keine.

Mitarbeiter David Baaß schreibt auf Anfrage der taz: „Anfänglich war die Nachfrage noch verhalten und pandemiebedingt musste die Sprechstunde zeitweise aussetzen. Seit April 2021 läuft die Sprechstunde regulär und seitdem steigt die Nachfrage kontinuierlich an.“ Der größte Anteil entfalle dabei auf Musikstudierende sowie Berufsmusiker*innen, insgesamt wurden bereits rund 170 Pa­ti­en­t*in­nen behandelt.

Auch andere Hochschulstandorte wie Hannover, Freiburg oder Berlin, die Angebote für (angehende) Mu­si­ke­r*in­nen bereitstellen, haben den Aufbau der Sprechstunde am UKE laut Baaß „sehr unterstützt“. Das Team des UKE kooperiert auch mit der deutschen Gesellschaft für Musikermedizin, die seit 1994 besteht. Ebenso verfährt das Zentrum für Berufsmusiker, das zudem mit der Schweizer und Österreicher Gesellschaft einen ständigen Austausch pflegt. Hier werde laut Brandi in erster Linie diskutiert und informiert.

Im Zentrum für Berufsmusiker ist die Prävention für die mentale Gesundheit Schwerpunkt. Bogdan Dumitrascu beobachtet in seinem Berufsumfeld noch immer eine gewisse Hemmschwelle, solche Angebote wahrzunehmen: „Die Älteren reden nicht darüber“, sagt er im Hinblick auf gesundheitliche Sorgen. Trotz eines Bewusstseinswandels in jüngeren Generationen, Hilfe in Anspruch zu nehmen, passiert aus Sicht von Heidi Brandi gerade in der Ausbildungszeit des Nachwuchses in Bezug auf die Prävention „immer noch viel zu wenig“. Im Übergang zum Probespiel für das Orchester verspürten viele junge Ab­sol­ven­t*in­nen einen enormen Druck.

„Bitte bringen Sie zum Beratungstermin neben Ihrer Versichertenkarte auch Ihr Musikinstrument mit“

Info zur Sprechstunde für Mu­si­ke­r*in­nen am Uni-Klilikum

Ein solcher Fall: „Aufgrund verschiedener Anliegen – häufige Erschöpfung im Alltag, gelegentliche Panikattacken, Aufregung und Stress bei Probespiel, Selbstzweifel – habe ich Interesse an einem Erstgespräch mit Ihnen und hoffe, dass Sie mir weiterhelfen können.“ So fängt es oft an, sagt Heidi Brandi zu diesem Auszug aus einem Anschreiben an ihre Einrichtung.

Viele junge Leute melden sich beim Hamburger Zentrum für Berufsmusiker, dessen Aufnahmekapazitäten an seine Grenzen stoßen. Als Reaktion bieten sie nun einzelne Seminarveranstaltungen an und planen Gruppenangebote für das kommende Jahr. Laut Brandi kommt etwas mehr als die Hälfte der Anfragen von außerhalb der Hansestadt, darunter auch viele Sänger*innen. Zusammen versuchen sie etwa mit einem individuellen Bühnentraining und damit verbundenen Videoanalysen, innerhalb eines Jahres Fortschritte zu erreichen, denn für Brandi steht fest: „Bühnenpräsenz ist erlernbar und kein Schicksal.“

Geiger Bogdan Dumitrascu schaffte als 25-Jähriger den Sprung ins Orchester und muss sich darum nicht mehr sorgen. Für ihn heißt es vor allem: gesund bleiben. Denn bis zum regulären Eintritt in die Rente müsste er noch genauso lange spielen wie bisher, nämlich 21 Jahre.