Boliviens Präsident auf dem Rückzug

Mit der Ankündigung zurückzutreten reagiert Carlos Mesa auf wochenlange Demonstrationen, Streiks und Straßenblockaden. In einigen Städten werden bereits Brennstoffe und Lebensmittel knapp. Linke Opposition fordert sofortige Neuwahlen

VON INGO MALCHER

Boliviens Demonstranten verschleißen ihre Staatspräsidenten. Nach etwas mehr als anderthalb Jahren im Amt hat am Montagabend auch Carlos Mesa seinen Rücktritt angekündigt. „Ich bleibe aber Präsident, bis der Kongress eine Entscheidung trifft und die Zukunft des Landes neu definiert“, sagte Mesa am Montagabend in einer von Fernsehen und Rundfunk übertragenen Ansprache an die Nation. Für Dienstag berief er eine außerordentliche Kongresssitzung ein, bei der über das weitere Vorgehen entschieden werden sollte. Es war Mesas zweiter Rückzug. Bereits im vergangenen März hatte er seinen Rücktritt angeboten, der vom Parlament jedoch abgelehnt wurde.

Mesas Rückzug ist die Folge von wochenlangen Demonstrationen für eine Verstaatlichung des Energiesektors, landesweiten Streiks und Straßenblockaden in dem südamerikanischen Land. Bolivien ist zum Stillstand gezwungen. In einigen Städten werden bereits Brennstoffe und Lebensmittel knapp, weil die wichtigsten Transportrouten von Barrikaden versperrt sind.

Auch am Montag belagerten wieder tausende Demonstranten den Regierungspalast in La Paz und forderten den Rücktritt von Präsident Mesa. Es war die zahlenmäßig größte Demonstration gegen den Präsidenten seit dessen Amtsantritt im Oktober 2003. Dabei kam es erneut zu heftigen Straßenschlachten zwischen der Polizei und den Demonstranten. Die Polizei nahm mehrere Dutzend Menschen fest. Es wurden aber auch Zusammenstöße zwischen den Demonstranten befürchtet.

In diesem Klima sehe er keine Möglichkeit mehr, weiter zu regieren, sagte Mesa in seiner Ansprache. „Bis hier hin bin ich gekommen“, so Mesa und meinte damit, er sehe sich in der gegenwärtigen Situation außer Stande, das Land zu befrieden. „Bolivien nähert sich einem Punkt, an dem niemand mehr bereit ist, dem anderen zuzuhören. Eine Minderheit versucht der Mehrheit ihren Willen aufzuzwängen.“ Damit machte Mesa die Anführer der Proteste für die Situation des Landes verantwortlich, indem er versuchte, ihnen die Legitimität zu nehmen.

Doch in der Tat ist Bolivien zutiefst gespalten: Nämlich in eine weiße, regierende Minderheit und eine Mehrheit aus Indígenas, die in den vergangenen Jahren begonnen hat, sich politisch zu artikulieren. Aber auch territorial ist Bolivien gespalten in die arme Andenregion und den rohstoffreichen Osten. Während der Osten des Landes mehr Autonomie für sich reklamiert, fordern die Andenregionen eine bessere Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums.

In einem letzten Versuch, das Land zu befrieden, hatte Mesa vergangene Woche eingelenkt und war auf die zentrale Forderung der Demonstranten eingegangen: Er berief Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung ein. Aber sein wichtigster Gegenspieler, der Anführer der Bewegung für den Sozialismus (MAS), Evo Morales, vermutete hinter dem Angebot Mesas einen Trick und die Proteste gingen weiter. Morales, dessen MAS zweitstärkste Kraft im Parlament ist, fordert sofortige Neuwahlen. Diese sind in der Tat die einzige Möglichkeit, damit das Land zu Ruhe kommt. Danach wären die politischen Kräfteverhältnisse klarer.

Würden die Abgeordneten jedoch den umstrittenen Senator Hormando Vaca Díez, der gemäß der Verfassung auf Mesa folgen würde, zum neuen Präsidenten machen, wären weitere Proteste programmiert. Denn auch Mesa kam nicht durch Wahlen ins Amt des Staatspräsidenten. Er wurde zum Staatschef ernannt, nachdem Demonstranten seinen Vorgänger Sanchez de Losada aus dem Präsidentenamt gejagt hatten. Jetzt teilt Mesa dessen Schicksal.