Grüne trösten sich mit Mitgliederboom

Seit der Ankündigung von Neuwahlen wird die grüne Partei mit Beitrittsanträgen bestürmt. Doch welchen Kurs wünschen sich die Neugrünen? Weiter so, Rot-Grün? Oder besser klare Kante in der Opposition? Die Parteispitze will es lieber nicht wissen

aus Berlin SOLVEIG WRIGHT

Die Grünen boomen, auch wenn sie selbst nicht sagen können, warum. Über 500 Leute, vermeldet die Partei stolz, hätten sich seit der verlorenen NRW-Wahl vor gut zwei Wochen in der Bundeszentrale gemeldet, um den Grünen beizutreten oder beim Wahlkampf zu helfen. Vor vier Tagen zählte die Partei mehr als 100 neue Mitglieder. Seitdem haben die Verwalter den Überblick verloren, aktuellere Zahlen kann kurioserweise auch die grüne Pressestelle nicht nennen.

Vor allem aber weiß die Parteizentrale keine Antwort auf die Frage, welchen Kurs sich die neuen Grünen von ihrer Partei erwarten. Vielleicht will es so genau aber lieber niemand wissen. Wer sich jetzt für die Grünen entscheidet, hat zwar wohl klare Vorstellungen, wie es weitergehen soll. Doch seit dem Scheitern des rot-grünen Projekts und der Ankündigung von Neuwahlen streiten die Grünen wieder heftig um die richtige Richtung. Die Mitgliederstatistik kann da schnell zur Munition im politischen Stellungskrieg werden. Uneinigkeit herrscht in den grünen Reihen derzeit darüber, welche von drei Richtungen die einstige Alternativtruppe nach der Neuwahl einschlagen sollte. Die Mehrheit des Spitzenteams befürwortet im Grundsatz ein Festhalten an der rot-grünen Perspektive, auch wenn sich kaum jemand ernsthafte Chancen auf eine Fortsetzung der Koalition nach dem 18. September macht. Gleichzeitig fordern die linken Teile der Partei, sich bereits jetzt auf die Opposition einzustellen und einen entsprechenden Wahlkampf zu führen. Verstärkung erhielten sie von dem Kopf der undogmatischen Denker, Daniel Cohn-Bendit, gestern in der taz: „Die Grünen werden, wie es aussieht, in die Opposition gehen. Und das ist keine Katastrophe.“ Und schließlich liebäugeln manche Grüne mit ganz anderen Konstellationen, von Schwarz-Grün bis zur Linkspartei.

Steffi Lemke, die Bundesgeschäftsführerin, kann eine innerparteiliche Richtungsfestlegung in den Eintritten nicht erkennen. „Es ist eine Gerade-jetzt-Stimmung“, sagte Lemke, „die aus Unterstützung für grüne Themen, Solidarität, Optimismus und Tatkraft gespeist wird.“ Stephan Schilling, Sprecher der Grünen Jugend, glaubt dagegen: „Es gibt keine Oppositionssehnsucht, aber die Grünen können eine gute und kompetente Oppositionspartei sein.“ Schillings Ansicht ist freilich nicht ganz so überraschend, wenn man bedenkt: Die Haltung, die er bei den neuen Mitgliedern ausgemacht hat, ist exakt eine Unterstützung seiner eigenen Linie.

Auch bei den Landesverbänden in Bayern, Niedersachsen und Hessen interessieren sich derzeit nach Angaben der jeweiligen Pressesprecher auffällig viele Menschen für die Grünen. In Bayern kamen die Hälfte der Anfragen von Leuten unter 35.

Kai Klose, Landesgeschäftsführer der Grünen in Hessen, sagt, der Zuspruch werde umso größer, je stärker sich die Grünen von der SPD abgrenzten und sich auf ihre Spezialthemen konzentrierten: Verbraucherschutz, Ökologie und Menschenrechte.

Am Kreisverband Leipzig, der grünen Hochburg im Osten, ist der Mitgliederanstieg vorbeigegangen. Frank Albrecht sieht sein Klientel bei den Über-60-Jährigen. Interesse gebe es, nur zu einem Beitritt können sich die engagierten Rentner bisher nicht durchringen.