Videospiel „The Invincible“: Ostmoderne im All
Im Videospiel „The Invincible“ durchschreitet man außerirdische Planeten – und die Gedankenwelt des Science-Fiction-Autors Stanisław Lem.
Die Biologin Yasna ist auf einem fremden Planeten gestrandet. Und was für ein Planet: Auf Regis III wechseln sich Gebirgslandschaften mit weitläufigen Wüsten und riesigen Höhlengewölben ab, immer überdacht von einem einzigartigen Sternenhimmel. Diesen Planeten durchschreiten Spieler:innen im Game „The Invincible“ – und damit die Gedankenwelt des polnischen Science-Fiction-Autors Stanisław Lem.
Yasna wacht in einer der Wüsten auf und erinnert sich daran, dass sie zuvor noch alleine auf dem Raumschiff war, während die restliche Crew den Planeten erforschte. Über Funk spricht sie mit Novik, dem Kopf der Forschungseinheit, der ebenso verwirrt ist wie sie. Gemeinsam versuchen sie herauszufinden, warum die restliche Einheit verschwunden ist. Dann entdeckt Yasna merkwürdige Metallstrukturen, die den gesamten Planeten durchziehen. Langsam beschleicht sie der Verdacht, dass sie nicht alleine sind in dieser fremden Welt – und dass Novik ihr etwas verschweigt.
Mit gerade einmal fünf Stunden ist „The Invincible“ nicht lang, dafür ist jede Minute ein intensives und atmosphärisches Erlebnis. Während ihrer Odyssee muss Yasna mal ein Signal aufstellen, eine Sonde programmieren oder eine Sauerstoffflasche austauschen. Spielerisch ist das alles keine Herausforderung, unterhaltsam ist es dennoch.
Statt auf komplexe Rätsel zu setzen, ist das Spiel ein „Walking-Simulator,“ also eine Reise durch eine fremde Welt, bei der die Bilder und Erzählung im Vordergrund stehen. Das ästhetische Erlebnis steht hier im Vordergrund, dazu gehören die verspielten retro-futuristischen Settings ebenso wie die sphärischen Klänge, die an die Musik des griechischen Komponisten Vangelis erinnern.
Östliche Visionen
„The Invincible“ entwickelt sich schnell zu einer unheimlichen Reise, in der Yasna beginnt, ihre Sinne und Erinnerungen zu hinterfragen. Spätestens wenn die Biologin sich nicht mehr sicher ist, ob sie gerade ein angeblich verstorbenes Crewmitglied gesehen hat oder dabei ist, den Verstand zu verlieren, bekommt das Spiel eine leichte Horrornote. Die starke Handlung ist dem Buch geschuldet, auf dem das Spiel basiert.
Das polnische Entwicklerstudio Starward Industries hat sich den gleichnamigen Roman aus dem eigenen Land als Vorlage genommen. 1964 schieb der Philosoph Stanisław Lem „Niezwyciężony“, in Deutschland als „Der Unbesiegbare“ erschienen, auf Englisch als „The Invicible“. Lem steht in einer Reihe von vielen osteuropäischen Science-Fiction-Autor:innen, die im Westen noch immer zu wenige Aufmerksamkeit bekommen.
Vergleicht man die westlichen Zukunftsgeschichten mit denen der ehemaligen Ostblockstaaten, wirken die östlichen Versionen meist geerdeter. Sie gehören eher zu der sogenannten „hard science fiction“, die realistische Weiterentwicklungen von Wissenschaft und Technik als Grundlage für ihre Vorstellungen von Zukunft nehmen. Doch sie widmen sich auch verstärkt den großen philosophischen Fragen des Menschseins. Extraterrestrische Wesen spielen hingegen nur eine Nebenrolle. Auseinandersetzungen mit Aliens kommen so gut wie gar nie vor, während der Krieg der Welten im Westen der Standardtopos ist.
Dieser Ansatz hat es auch ins Weltkino geschafft: Mit Filmen wie „Stalker“ und vor allem „Solaris“ hat der russische Regisseur Andrei Tarkowski die Ästhetik einer entschleunigten, sowjetischen Science-Fiction geprägt wie niemand sonst. Wie „The Invincible“ basiert auch der Film „Solaris“ auf einem gleichnamigen Buch von Stanisław Lem.
Von der „Metro“ in die Haft
Auch die russischen Brüder Arkadi und Boris Strugazki, auf deren Novelle Tarkowskis „Stalker“ basiert, haben mit ihren Geschichten aus dem sogenannten Mittags-Universum nicht nur James Camerons „Avatar“-Epos beeinflusst, sondern auch gleich mehrere erfolgreiche Videospiele. 2007 war es Dmitri Gluchowski, der mit seinem dystopischen Roman „Metro 2033“ Science-Fiction-Fans für sich gewann. Später wurde sein Roman über das Leben in unterirdischen Bahnhöfen nach dem Atomkrieg auch als erfolgreiches Videospiel adaptiert. Wegen seiner Kritik am Ukrainekrieg und der Solidarität mit Alexej Nawalny wurde der Autor inzwischen in Russland zu acht Jahren Haft verurteilt.
Gemeinsam sind vielen Autor:innen aus den ehemaligen Ostblockstaaten die mehr oder weniger subtilen sozialistische Untertöne. Oftmals ist die Forschung im All staatlich organisiert und der Anreiz dafür kein kapitalistischer. Während Geld seinen Wert verloren hat, wird die Freude an der wissenschaftlichen Arbeit und der Entdeckung zum Mittelpunkt des Lebens. Ein Beispiel für diese Einstellung gibt es in der westlichen Science-Fiction: „Star Trek“-Crews haben nicht für Geld, sondern aus Neugier an der Wissenschaft und altruistischen Gründen geforscht. Auch in „The Invincible“ spielt Kapital keine Rolle. Stattdessen ist es die Suche nach Sicherheit und der Versuch, das Geschehen auf dem fremden Planeten zu verstehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen