Editorial von Andreas Rüttenauer
: Früher Adorno und Dachlatten, heute ziemlich Mitte

Was wurde nicht schon gestritten in und um Hessen? Handfest und mit Worten. Alle Augen waren auf das Bundesland gerichtet, nachdem auf einer Demonstration gegen die Startbahn West 1987 am Frankfurter Flughafen zwei Polizisten durch Schüsse ums Leben kamen. Das ganze Land diskutierte da ganz grundsätzlich darüber, wie weit Protest gehen darf.

Zwei politisch motivierte Brandstiftungen in Kaufhäusern gehören zur Gründungsgeschichte der RAF. An der Goethe-Universität wurde derweil der Frankfurter Schule gehuldigt, und wenn Theodor W. Adorno sprach, bevölkerten die Ultras der Kritischen Theorie den Hörsaal. Und heute? Was haben sich die damals noch recht bunten Grünen nicht geärgert, als SPD-Ministerpräsident Holger Börner 1982 über die Proteste gegen den Ausbau des Flughafens in Frankfurt am Main meinte: „Früher auf dem Bau hat man solche Dinge mit der Dachlatte erledigt.“ Und was wurde gefeixt, als sich Joschka Fischer in weißen Turnschuhen zum Umweltminister unter ebenjenem Börner hat vereidigen lassen. Es war eine Zeit, in der Kulturkämpfe noch von Kultusministern ausgefochten wurden. Hessen als Hort der Gesamtschulen war das Feindbild konservativer Schulgliederer. Das Land war Thema.

Und dann war da noch jener gescheiterte Anlauf der SPD-Frau Andrea Ypislanti zum Amt der Ministerpräsidentin. Sie wollte sich von ihren Ge­noss:in­nen, von denen der Linken und denen der Grünen zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Doch der Plan scheiterte, weil vier SPD-Abgeordnete nicht mitspielen wollten. Ein gewisser Tarek Al-Wazir sollte damals Ypsilantis Stellvertreter werden. Auch Nancy Faeser sollte dem Kabinett angehören. Wohin das Land wohl gesteuert wäre, wenn es zu der Minderheitsregierung gekommen wäre? Heute ist der grüne Al-Wazir Vize des CDU-Ministerpräsidenten Boris Rhein. Und Faeser ist hoffnungslose Spitzenkandidatin der in der Opposition festsitzenden Hessen-SPD.

Die konnte dabei zuschauen, wie die Grünen brav geblieben sind, als im Dannenröder Forst eine Schneise für eine Autobahn geschlagen wurde. Und diese sind nicht laut geworden, als klar wurde, dass auf Hessens Sicherheitsbehörden nicht wirklich Verlass war, wenn es um die Aufklärung der zahlreichen Fälle rechten Terrors im Land ging. Und so wird doch recht geräuschlos aus dieser bemerkenswert merkwürdigen Landeshauptstadt Wiesbaden regiert, wo früher so viel politischer Lärm gemacht worden ist. Der schallt in diesen Tagen aus den Bierzelten Bayerns durch die Republik. Während da polarisiert wird, hat sich in Hessen eine neue Mitte formiert. Dass sie von rechts angegriffen wird, gehört zur neuen, traurigen Realität in Deutschland. Dass Nazis immer mehr Räume auch in Hessen besetzen, ebenfalls.