Überläufer stören bei China-Geschäften

In Australien bringen zwei brisante Asylanträge von Chinesen die konservative Regierung in die Zwickmühle

BERLIN taz ■ Nach der Formel „Wandel durch Handel“ hoffen westliche Regierungen, die Menschenrechte in China zu stärken. Während Menschenrechtler schon lange sagen, dass Handel keine Menschenrechtspolitik ersetzt, funktioniert die Formel bei Australien zumindest umgekehrt: Die dortige Regierung hebelt offenbar im Interesse des boomenden China-Handels ihr Asylrecht aus, wie der Fall des Diplomaten Chen Yonglin zeigt.

Der 37-jährige Sekretär des chinesischen Konsulats in Sydney beantragte in Australien politisches Asyl, weil er es nach eigenen Worten nicht länger aushielt, chinesische Oppositionelle auszuspionieren. Laut Chen koordinieren Chinas Vertretungen in Australien ein Netz von eintausend Spionen und Spitzeln, die Dissidenten, Falun-Gong-Anhänger, Taiwaner, Tibeter und Uiguren ausspähen und einige sogar nach China entführen. Laut Chen war er daran selbst maßgeblich beteiligt.

Dies machte er am 4. Juni bei einer Kundgebung zum Gedenken an die Niederschlagung der chinesischen Demokratiebewegung vor 16 Jahren öffentlich. Zuvor war sein Asylantrag abgelehnt worden. Die Regierung, die derzeit mit China über Freihandel und Urangeschäfte verhandelt, interessierte sich nicht für seine Enthüllungen. Sie versuchte vielmehr, ihn laut australischen Medienberichten von seinem Asylantrag abzubringen.

Als das nicht gelang, lehnte sie seinen Antrag ohne weitere Befragung umgehend ab und informierte Chinas Botschaft. Als Großabnehmer australischer Rohstoffe ist China inzwischen der drittgrößte Handelspartner.

Chen tauchte unter, nachdem er am vergangenen Samstag an die Öffentlichkeit gegangen war. Erwartungsgemäß wurde er von China diskreditiert. Ein Sprecher des Außenministeriums in Peking sagte, Chen erfinde Lügen, um seine turnusgemäße Rückkehr nach China zu verhindern.

Während sich viele Australier wundern, wie oberflächlich ihre Regierung mit Asylanträgen umgeht, fordern die Oppositionsparteien Labor und Grüne, Chen Asyl zu geben. Die Regierung verteidigte ihr Vorgehen und warf Chen vor, gar nicht formal Asyl beantragt zu haben. Dem widerspricht ein inzwischen von den Grünen veröffentlichter Brief Chens an die Behörden.

Am Mittwoch berichtete dann der ehemalige chinesische Sicherheitsbeamte Hao Fengjun auf einer von der Falun-Gong-Sekte in Sydney organisierten Pressekonferenz, wie er in der Hafenstadt Tianjin aus Australien, den USA und Kanada eintreffende Meldungen über Oppositionelle des chinesischen Spitzelnetzwerks bearbeiten musste. Das stützt Chens Behauptungen.

Der 32-jährige Hao sagte, er habe schon am 15. Februar in Australien Asyl beantragt. Doch bis heute sei er nicht befragt worden. Seine und Chens Aussagen könne er mit 200 aus China herausgeschmuggelten Dokumenten beweisen. SVEN HANSEN