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Weltweit leiden die kleinen Erzeuger

Die bäuerliche Landwirtschaft ist dramatisch auf dem Rückzug: in Deutschland, in Europa und weltweit. Ein Grund sind Erzeugerpreise, die die ökosozialen Werte der bäuerlichen Produktionswelt nicht genug berücksichtigen

Abfüllung des fair gehandelten Bio-Olivenöls

Von Dierk Jensen

Die Preise für Lebensmittel sind in den letzten Monaten massiv gestiegen. Das spüren die Konsumenten in deutschen Supermärkten genauso wie die Einkaufenden auf den Märkten in Ländern der Subsahara. Der Preisanstieg ist im Zuge multipler Krisen ein globales Phänomen. Es trifft fast alle Konsumentinnen und Konsumenten.

Gleichzeitig profitiert eine Reihe multinationaler Unternehmen von der aktuellen Lage. Schaut man beispielsweise auf die Aktienkurse so mancher global agierender Lebensmittelkonzerne, wird schnell klar, dass es durchaus Gewinner in der derzeit angespannten globalen Situation gibt. Wer im Besitz dieser Aktien ist, freut sich über hohe Ausschüttungen.

Unterdessen kommt von den weltweiten Preissteigerungen für Lebensmittel wenig bei den bäuerlichen Erzeugern an. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass fast alle Akteure, Organisationen und Verbände, die sich seit Jahrzehnten in diesem Segment engagieren, diesen Zustand grundlegend kritisieren. „Es kann doch nicht sein, dass sich konventioneller Handel und Industrie Mehrerlöse einverleiben, ohne dass die Erzeuger daran partizipieren“, kritisiert beispielsweise Anna Hirt vom Weltladen-Dachverband. Hirt fordert daher einen transparenten Umgang mit den gestiegenen Kosten entlang der ganzen Lieferkette – vom Ursprung bis zum Verkauf, um so faire Erzeugerpreise transparent ermitteln zu können.

Dabei ist es auch in den Reihen des Fairen Handels so, dass sich durch Coronapandemie, durch Inflation, durch fatale Schäden infolge lokaler Unwetter, durch gestiegene Energie- und Transportkosten und nicht zuletzt durch den Krieg in der Ukraine vieles sehr viel teurer geworden ist. „Wichtig ist es uns daher im Fairen Handel, dass wir unsere Kundinnen darüber aufklären, dass auch die Erzeugerinnen höhere Preise brauchen, um ihre gestiegenen Kosten decken zu können“, fügt Hirt hinzu.

Ein ehrenwerter Ansatz, der allerdings in vielen landwirtschaftlichen Regionen nicht mehr als ein bloßer Wunsch ist. Denn in vielen Ländern des Globalen Südens gibt es keine Handelsstrukturen und auch keine Agrarpolitik, die erzeugerorientiert ausgerichtet wäre und damit zur Sicherung der bäuerlichen Existenzen auch in Krisenzeiten beitragen würde.

„Hier braucht es viel mehr politische Regulierung“, fordert derweil Stig Tanzmann, Politikreferent bei der evangelischen Organisation Brot für die Welt. „Es braucht Maßnahmen, die die bäuerlichen Produzenten vor den negativen Dynamiken der globalen Märkte abschirmt und damit so schützt, damit sie weiter kostendeckend ernten und wirtschaften können“, so Tanzmann weiter. Tanzmann ist als Landwirt sowohl praktisch ausgebildet als auch studiert. Ihm erscheint es vollkommen inakzeptabel, wenn die Auswirkungen globaler, vor allem an Warenterminbörsen orientierten Handelsstrukturen kleine landwirtschaftliche Betriebe daran hindern, ausreichende Erlöse zu erzielen, während gleichzeitig vorgelagerte und nachgelagerte Agrarkonzerne aber gute Gewinne einstreichen.

Die Faire Woche 2023 findet vom 15. bis 29. September zum Thema Klimagerechtigkeit und Fairer Handel unter dem Motto „Fair. Und kein Grad mehr!“ statt.

Zur der bundesweiten Aktionswoche werden über 2.000 Aktionen, Gespräche, Lesungen, Tauschbörsen und andere Events erwartet. Veranstaltet wird sie vom Forum Fairer Handel in Kooperation mit dem Weltladen-Dachverband und Fairtrade Deutschland.

Unter anderem werden Vertreterinnen und Vertreter von Produzentenorganisationen bei Veranstaltungen in Deutschland sowie in Videobotschaften berichten, wie sie von der Klimakrise betroffen sind und wie sie vom Fairen Handel profitieren.

Das Konzept der Klimagerechtigkeit zielt darauf ab, dass die Verursacher der Klimakrise – die Länder des Globalen Nordens – ihrer Verantwortung gerecht werden. Dazu gehöre, so schreiben die Veranstalter der Fairen Woche, dass sie ihre CO2-intensiven Produktions- und Konsummuster möglichst schnell klimaverträglich gestalten und Betroffene im Globalen Süden darin unterstützen, sich vor den Folgen der Klimakrise zu schützen.

Der Faire Handel sei Teil der Lösung, denn er trage dazu bei, Kleinproduzent*innen widerstandsfähiger gegen Krisen zu machen, etwa indem er klimaschonend wirtschafte, ihnen klimaresistentes Saatgut bereitstelle und sie nach Naturkatastrophen unterstütze.

Die einzelnen Veranstaltungen und Aktionen werden organisiert und durchgeführt von Weltläden, Supermärkten, Schulen, gastronomischen Betrieben, Einrichtungen der Verbraucher*innen-Beratungen, Kirchengemeinden und Kantinen.

www.faire-woche.de

Dass die Profite einseitig bei den Agrarriesen landen, ist für den Mitarbeiter von Brot für die Welt nicht nur politisch verwerflich, sondern wirft auch global das Problem auf, dass der ökosoziale Wert kleinbäuerlicher Strukturen im großen Stil weiterhin ignoriert wird. Das hat tiefgreifende Folgen. „Diese bäuerlichen Familienbetriebe sind nämlich unverzichtbar für eine nachhaltige landwirtschaftliche Entwicklung und auch im Kampf gegen den Klimawandel“, warnt Tanzmann.

Welche weitreichende Dimension die Kleinbäuerinnen in der ganzen Welt nach wie vor haben, demonstrieren Zahlen der Weltbank. Nach deren Angaben leben weltweit rund zwei Milliarden Menschen auf kleinen Betrieben von und mit der Landwirtschaft; daher gelten sie als bedeutender Resilienzfaktor für ländliche Regionen, und zwar in fast allen Teilen der Welt. Würden diese Betriebe aufgrund schlechter Preise und zugleich gestiegener Produktionskosten aufhören, weiter zu erzeugen, würde sich damit für viele Länder des Globalen Südens die Abhängigkeit von landwirtschaftlichen Rohstoffimporten dramatisch zuspitzen.

Im Fairen Handel brauchen die Erzeugerinnen bessere Preise

Welche Gefahren bei einer Importabhängigkeit beispielsweise von Getreide entstehen, zeigt sich gerade in erschreckender Weise beim Drama um die ukrainischen Getreideexporte über das Schwarze Meer. Auch wenn es diese Engpässe nicht gäbe, würde sich die Welt trotzdem in einer permanenten Ernährungskrise befinden: Unglaubliche 800 Millionen Menschen leiden gegenwärtig an Hunger.

Aber auch im reichen Europa und in Deutschland lässt sich erkennen, was es heißt, wenn die Preise nicht mehr ausreichen, um qualitätsorientierte, ökologische und nachhaltige Leistungen bäuerlicher Landwirtschaft zu erhalten. „Der Markt kümmert sich nicht darum, ob Kühe auf der Weide gehalten werden“, konstatiert Berit Thomsen von der Arbeitsgemeinschaft für bäuerliche Landwirtschaft (AbL) einen steten Rückgang dieser naturnahen und von vielen zivilgesellschaftlichen Gruppierungen favorisierten Haltungsform. Trotz aller Beteuerungen entscheidet sich die Mehrheit der Konsumenten am Kühlregal immer noch anders. „Und wenn es für die kleinen Betriebe nicht mehr reicht, dann wird das Höfesterben unaufhörlich weitergehen“, zieht Thomsen nüchtern Fazit. Derzeit gibt es in Deutschland noch knapp 60.000 Milchviehbetriebe, allein im letzten Jahrzehnt haben Zehntausende Milchviehhalterinnen die Erzeugung eingestellt.