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Schwules Paar in Brandenburg angefeindetHass am Gartenzaun

Ein Paar wirft den Be­woh­ne­r*innen eines Dorfes Homophobie und Rassismus vor. Für die Bürgermeisterin sind das normale Nachbarschaftskonflikte.

René Gust (r.) und Osward Gust-Martínez in ihrem Garten, in dem sie sich nicht mehr sicher fühlen Foto: Gordon Welters

Nennhausen taz | René Gust und Osward Gust-Martínez wollten sich den Traum vom Leben auf dem Land erfüllen. Vor rund vier Jahren zog das schwule Ehepaar von Berlin in das beschauliche Nennhausen, ein Dorf mit rund 900 Ein­woh­ne­r*in­nen im brandenburgischen Havelland, rund anderthalb Zugstunden von Berlin entfernt. „Der Speckgürtel Berlins war für uns zu teuer“, erzählt Gust-Martínez der taz. Doch im Westen Brandenburgs wurden sie schließlich fündig.

Der gebürtige Venezolaner sitzt mit seinem Ehemann im Garten vor dem kleinen Einfamilienhaus, das die beiden für sich und ihre Hündin gebaut haben, die aufgeregt herumtollt. Die Sonne scheint auf den ordentlich gemähten Rasen, der von Sonnenblumen gesäumt ist, es ist ruhig. Idyllisch, könnte man meinen.

Doch der friedliche Eindruck täusche, sagt René Gust. Erst vor wenigen Tagen sei er von einem der Nachbarn angegangen worden. „Der Traktor lief mal wieder ohne Grund, und als ich hin bin, kam der Nachbar auf mich zu, hat mich angerempelt und beleidigt“, sagt Gust. Es sei nicht das erste Mal gewesen: Vom selben Mann seien sie bereits zuvor als „Schwuchtel“ oder „schwule Fotze“ bezeichnet worden.

Permanent sieht sich das Paar Provokationen ausgesetzt: Sie zeigen auf den Zaun, der an einigen Stellen zerschnitten ist. Immer wieder würden Fleischreste und Müll in ihren Garten geworfen, hinzu kämen sexualisiertes Pfeifen und eindeutige Gesten. Der häufigste Streitpunkt ist jedoch der in ihren Augen unnötige Traktorlärm und die damit verbundenen Abgase direkt vor ihrem Grundstück. Absicht, glauben sie – um ihnen das Leben zur Hölle zu machen.

Queerfeindliche Übergriffe in Brandenburg

In Brandenburg kommt es immer wieder zu queerfeindlichen Vorfällen. Repräsentative Zahlen zu nennen ist laut dem Verein Opferperspektive aber schwierig, weil sich viele Betroffene aus Angst, nicht ernst genommen zu werden, gegen eine Anzeige bei der Polizei entschieden oder wegzögen. Allein seit dem Pride Month Juni kam es allerdings schon zu zahlreichen homo- und queerfeindlichen Angriffen.

Am 24. Juni warfen Unbekannte einen Brandsatz gegen den Glockenturm einer Kirche in Spremberg (Spree-Neiße-Kreis), an dem sich auch eine Regenbogenflagge befand. Am Tag zuvor war dort eine Dokumentation über ein lesbisches Liebespaar im KZ Ravensbrück gezeigt worden. Im Juni wurden unter anderem auch in Dallgow-Döberitz, in Bernau und in Burg Regenbogenfahnen angezündet. Zeitgleich agitierte die Jugendorganisation der AfD, die Junge Alternative, unter dem Hashtag #Stolzstattpride am Campus Potsdam gegen den Pride Month.

Am 3. Juli wurde eine 24-jährige Person in Rheinsberg (Landkreis Ostprignitz-Ruppin) queerfeindlich beleidigt, geschlagen und mit dem Messer bedroht. Eine Zeugin konnte die Täter vertreiben. (mfr)

Ausgegrenzt, gemobbt und bedroht

„Es ist, als ob wir nicht existieren dürfen“, sagt Osward Gust-Martínez. Von Freun­d*in­nen seien sie gewarnt worden, nach Brandenburg zu ziehen. „Da wohnen doch nur Nazis, wurde uns gesagt. Doch wir wollten nicht dieselben Vorurteile haben“, sagt der 41-Jährige. Anfangs seien sie auch noch freundlich empfangen worden, doch als sie Händchen haltend durchs Dorf liefen, hätten die Anfeindungen angefangen. Mittlerweile fühlen sie sich von den Dorfbe­woh­ne­r*in­nen ausgegrenzt, gemobbt und bedroht.

Rund ein Dutzend Anzeigen haben die beiden bei der Polizei aufgegeben, besser gemacht hat es das nicht – im Gegenteil. Einer der Nachbarn soll ihnen sogar mit dem Tod gedroht haben, wenn sie nicht mit den Anzeigen aufhören würden. „Die einen drohen, die anderen schweigen und machen nichts“, sagt Gust-Martínez. Für ihn macht das am Ende keinen Unterschied. „Die Menschen hier haben sich zusammengeschlossen, um uns mit ihrem Hass zu vertreiben“, glaubt er. „Nicht alle hier sind böse“, ergänzt Ehemann René Gust, es seien vor allem einige wenige Männer.

In ihrer Verzweiflung wandte sich das Paar mit einem offenen Brief an die Bürgermeisterin von Nennhausen, in dem sie von „homophoben und xenophoben Beleidigungen von einigen Personen“ berichten. Die Linke-Politikerin sieht in dem Konflikt jedoch nur einen Streit unter Nachbar*innen. „Das hat nichts mit Anfeindungen von zwei schwulen Männern zu tun“, sagt Brigitte Noël der taz. Im Dorf habe es nie Ärger mit gleichgeschlechtlichen Paaren gegeben. Auch aus anderen Gemeinden sei ihr so etwas nicht bekannt. „Ich bin der Überzeugung, das Ganze beruht auf Nachbarschaftsstreitigkeiten.“

Homophobie? Gibt es laut der Bürgermeisterin in Nennhausen nicht Foto: Gordon Welters

Generell seien homophobe Vorfälle natürlich nicht zu akzeptieren, hier ginge es jedoch eher darum, dass sich die beiden Zugezogenen permanent über Lärmbelästigung beschwerten. Traktoren- oder Kettensägengeräusche würden auf dem Dorf aber nun mal dazugehören. „Das ist völlig aus dem Ruder gelaufen“, sagt die langjährige Bürgermeisterin. An diesem Dienstag will sie sich mit René Gust und Osward Gust-Martínez treffen, um die Probleme zu besprechen. Zusätzlich will Brigitte Noël zu einer öffentlichen Gesprächsrunde mit den Dorf­be­woh­ne­r*in­nen einladen, damit alle Seiten gehört würden.

Rassistische und homophobe Bedrohungen

Für Martin Vesely vom Potsdamer Verein Opferperspektive, an dessen Beratungsstelle sich das schwule Paar gewendet hatte, reicht das nicht: „Die Bürgermeisterin muss sich mit der politischen Dimension dieses Konflikts auseinandersetzen“, sagt Vesely zur taz. Schließlich ginge es auch um rassistische und homophobe Bedrohungen.

Vesely fordert, dass sich die Bürgermeisterin klar gegen Homophobie positioniert. „Ich hätte mir gewünscht, dass sie sich an die Seite der Betroffenen stellt, statt sich um das Image des Ortes zu sorgen.“

Dabei gehe es weniger darum, einer Seite recht zu geben, als sich für ein buntes Zusammenleben starkzumachen. Schließlich komme es in Brandenburg immer wieder zu homofeindlichen Vorfällen. Mobbing im Wohnumfeld, mit dem die Betroffenen vertrieben werden sollen, sei dabei weit verbreitet. Viele Homosexuelle würden deshalb nach Berlin abwandern. „Es braucht eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Problemen vor Ort“, so Vesely.

Diese Menschen sollen nicht entscheiden, wer hier glücklich sein darf und wer nicht

Osward Gust-Martínez

Das hat sich „hochgeschaukelt“

Für Jirka Witschak von der Landeskoordinierungsstelle Queeres Brandenburg gibt es im Fall Nennhausen kein Schwarz oder Weiß. „Es ist erst mal ein Nachbarschaftsstreit, der sich sehr stark hochgeschaukelt hat“, sagt er der taz.

Auch er war mit dem Ehepaar Gust-Martínez in Kontakt und hält die Anfeindungen für glaubwürdig. Den gesamten Ort anzuprangern sei jedoch kontraproduktiv. „Dass sich ein ganzes Dorf gegen ein schwules Ehepaar verbündet, glaube ich nicht“, sagt er. Die Gemeinde sehe sich durch die mediale Berichterstattung über den Fall in die rechte Ecke gedrängt und fühle sich dadurch auf den Schlips getreten. Andere seien verunsichert, weil sie davon nichts mitbekommen hätten. „Es ist schwer für beide Seiten, da wieder rauszukommen.“

Statt pauschalen Anschuldigungen empfiehlt der Berater, den Dialog zu suchen. „Wenn man in ein Dorf zieht, ist es wichtig, sich Verbündete zu suchen“, sagt er. Das könnte etwa die freiwillige Feuerwehr sein, die immer diverser werde, der örtliche Fußballverein oder die Kirche. „Am besten hilft Kommunikation.“

Ob die in Nennhausen noch hilft oder es dafür schon zu spät ist, wird sich nach dem Gespräch am Dienstag zeigen. Für das Ehepaar ist jedenfalls klar, dass es sich nicht vertreiben lassen will. „Wir wollen hierbleiben, das ist unser Zuhause“, sagt René Gust. „Diese Menschen sollen nicht entscheiden, wer hier glücklich sein darf und wer nicht“, ergänzt Osward Gust-Martínez.

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2 Kommentare

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  • Das ist leider etwas, was in Ostdeutschland eben doch schlimmer ist als anderswo: das Fehlen von gewissen bürgerlichen Tabus. Natürlich gibt es auch im Westen Rechtsextreme, aber dennoch hisst man da nicht im Garten die Reichskriegsflagge, ohne daraufhin im Ort als Nazi verschrien zu sein, mit dem anständige Menschen nichts zu tun haben sollten. Im Osten ist man dann einfach „der Maik, der ist eben rechts, lass ihn doch.“ Es gibt im Westen Homophobie, aber jemanden in aller Öffentlichkeit „schwule Fotze“ zu nennen, gehört sich einfach nicht und ist eben eine Grenzüberschreitung, ist vulgär und primitiv. Das wird nicht noch von der Bürgermeisterin verharmlost. Diese Art von Verrohung und Auflösung bürgerlicher Tabus (und mit bürgerlich meine ich das ganze politische Spektrum, von links-bürgerlich bis konservativ-bürgerlich) ist leider auch im Westen im Kommen, aber im Osten immer noch viel stärker.

  • Beleidigungen, Sachbeschädigung, Schikane, körperliche Gewalt - gegen sog. "Zugezogene", "Berliner", "Grüne" - oder wer auch immer als Zielperson identifiziert wird. Das Muster ist immer das Gleiche und das Ziel ist die Vertreibung. Dabei treten immer relativ kleine Gruppen von lautstarken und übergriffigen Männern und Frauen auf. In Rheinsberg wird solchen Zuständen von der dort regierenden AfD Fraktion "Freie Wähler" der Weg bereitet. Auch das Schweigen und Wegschauen, das Versagen von Unterstützung und Verteidigung gegen offensichtliche Angriffe ist Kennzeichen dieser grassierenden Exklusion. Die Abwesenheit zivilisatorischer Mindeststandards ist Kennzeichen dieser verrohenden Brandenburger Dörfer und Kleinstädte. Das Verharmlosen und das Verbiegen der Fakten, selbst durch mittig-linke Politiker:innen, ist dabei ebenfalls ein Kennzeichen. Das Schweigen, das Mitheulen und die Verharmlosung durch die oft bemühte demokratischen Opposition unterstützt die Schaffung eines rechtsfreien Raumes in solchen Orten, wie Nennhausen oder Rheinsberg.