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: „Wichtig für die Freiheit ist, wie wir Zeit erleben“

Frei ist nur, wer einen Ort hat, an dem man bleiben kann: Die Philosophin Eva von Redecker stellt in Hamburg ihr Buch „Bleibefreiheit“ vor

Interview Paul Weinheimer

taz: Frau von Redecker, wo würden Sie gern bleiben, um frei zu sein?

Eva von Redecker: Auf dem Planeten Erde, und zwar in einer möglichst gewahrten Biodiversität in maximal solidarischen Beziehungen mit anderen Menschen.

Sie sprechen von „Bleibefreiheit“. Ist nicht die Bewegungsfreiheit essenziell für den Freiheitsbegriff? Also gehen zu können, wann immer man möchte?

Ja, aber mir scheint das eine gefährliche Verkürzung. Allerdings heißt das Buch ja nicht „Bleiben!“, sondern „Bleibefreiheit“. Insofern würde ich immer sagen, vom freien Bleiben kann nur die Rede sein, wenn die Möglichkeit zum Gehen besteht. Die Bleibefreiheit ist aber das voraussetzungsreichere und größere Versprechen: Ein Ort, an dem wir bleiben können, ist eine Garantie für ein Leben. Anders als bei der Bewegungsfreiheit.

Ist das nicht eine privilegierte Perspektive? Was ist mit den Menschen, die nicht bleiben können?

Der Begriff greift eben jene Privilegien an. Ich sage gerade nicht, dass bereits für alle Menschen „Bleibefreiheit“ bestünde. Wer fliehen muss, hat nicht die Freiheit zu bleiben. Außerdem wäre es falsch, Flucht als Bewegungsfreiheit zu beschreiben. Vielmehr steht dahinter die Suche nach einem Ort, an dem man bleiben kann. Bei der Bewegungsfreiheit muss es sich immer um eine Wahl und nicht um einen Zwang handeln. Sinnvoller ist es deswegen, Fluchtursachen solidarisch zu bekämpfen, um allen Menschen eine „Bleibefreiheit“ zu ermöglichen.

Foto: Schore Mehrdju

Eva von Redecker

41, ist Philosophin, Autorin und Publizistin. „Bleibefreiheit“ ist bei S. Fischer erschienen (160 S. 22 Euro, E-Book 16,99 Euro).

Freiheit wird häufig räumlich gedacht. Sie konzentrieren sich auf die zeitliche Dimension. Welchen Vorteil hat das?

Das entspricht einem realistischeren Bild unserer Lebensbedingungen. Menschliches Leben, ebenso unsere Handlungsfähigkeit, erstreckt sich zeitlich. Außerdem geht es darum, die Unendlichkeitssehnsucht, die dem Freiheitsbegriff zu Recht innewohnt, richtig unterzubringen. Nämlich nicht als eine Unendlichkeit, möglichst weit weg zu können oder möglichst viel anzuhäufen, sondern eine möglichst erfüllte Zeit zu haben.

Zeit und Zukunft sind in diesem Zusammenhang schwer greifbar. Ist das ein Problem?

Das kann auch von Vorteil sein. Schließlich muss der Freiheitsbegriff abstrakt genug sein, dass darin viele unterschiedliche Verwirklichungen Platz finden. Außerdem glaube ich nicht, dass man Freiheit rein negativ, zum Beispiel über die Abwesenheit von Zwang beschreiben kann. Wichtig ist vor allem, wie wir Zeit erleben. In meinem Buch habe ich über eine solche Phänomenologie der Freiheit, also eine Gestaltbestimmung des Zeiterlebens, nachgedacht.

Inwiefern?

Philosophisches Café mit Eva von Redecker: heute, 19 Uhr, Literaturhaus Hamburg, Schwanenwik 38

Für mich gibt es drei verschiedene Gestalten von Zeit, die wichtig sind, damit Leben zu Freiheit wird: ein Bewusstsein für die Endlichkeit; Initiative, also die Möglichkeit, etwas anzufangen; und die Regenerationsmöglichkeit, also eine kreisförmige Zeitform. Alle drei Formen halten die Zukunft offen und verengen sie nicht. Vielmehr sorgen sie dafür, dass es eine Zukunft gibt.

Was passiert, wenn sich Zukunft verengt?

Dafür muss man nur daran denken, was es bedeutet, wenn Regionen nicht mehr bewohnbar oder bestellbar sind. Das verschließt viele Handlungsmöglichkeiten. Deswegen ist es erstaunlich, dass schon bei Minimal-Anpassungen wie einem Tempolimit die Freiheitsreflexe anspringen, während man zugleich die Bedrohung der Welt hinnimmt. Das liegt an einem verkürzten Freiheitsverständnis. Unsere Welt zu verlieren, ist ein viel größerer Verzicht.