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: „Fetischisierte Identität ist tot“

Der Philosoph Omri Boehm erklärt im Jüdischen Salon in Hamburg, warum wir einen Universalismus jenseits von Identität brauchen

Interview Jonas Frankenreiter

taz: Herr Boehm, warum reicht es nicht, sich auf Identitäten zu beziehen, wenn wir Ungerechtigkeiten kritisieren wollen? Warum brauchen wir einen „radikalen Universalismus“?

Omri Boehm: Zunächst muss man zwischen Identität und Identitätspolitik unterscheiden. Identitätspolitik erhebt die Identität zur Hauptkategorie. Aber die einzige Möglichkeit, Identität zu verteidigen, ist der Universalismus: Man kann Identität nur als Identität des Menschen verteidigen. Wenn man aus der Würde des Menschen die Würde einer Identität macht, dann überträgt, fetischisiert und tötet man in der Regel die Identität. Ich weiß das als Jude. Die jüdische Identität ist mir wichtig, aber wenn sie fetischisiert wird, dann wird sie tot, kitschig leer und reaktionär.

Wie hält man Identität lebendig?

Wenn sie offen bleibt, ist die Identität einer der wichtigsten Träger des menschlichen Ausdrucks und der Freiheit – nur dass die Betonung immer auf dem Menschen liegen muss, auf der Kunst und der Philosophie. Identitäten neigen dazu, sich gegenseitig aufzuheben. Wenn Identität zu einem absoluten Wert wird – sei es die Identität des Körpers oder der Kultur – wird sie geschlossen und gefährlich.

Sie beziehen sich in Ihrem Buch auf den Aufklärer Immanuel Kant und seine Unterscheidung von Wert und Würde. Wie hängen Wert und Menschenwürde zusammen?

Foto: privat

Omri Boehm44, geboren in Haifa, ist deutsch-israelischer Philosoph. Seit 2010 ist er Associate Professor für Philosophie an der New Yorker New School for Social Research.

Ich glaube an die Kraft der Idee der Humanität, dass alle Menschen eine Würde haben. Für Kant kann alles, was Wert hat, gekauft und verkauft werden. Alles, was Würde hat, hat aber einen bestimmten Wert, der nicht ersetzt werden kann. Der Universalismus, den ich aufrechterhalten möchte, ist ein starkes Bekenntnis zum Universalismus als Verfassungsprinzip.

Ist der Universalismus dann ein westliches Konzept?

Ich arbeite innerhalb dessen, was man den westlichen Kanon nennt. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch anderswo analoge Argumente gegeben hätte. Eine wichtige Rolle spielt die Bindung Isaaks …

… eine Erzählung der Tora, nach der Gott Abraham befiehlt, seinen Sohn Isaak zu opfern.

Buch­vorstellung „Radikaler Universalismus jenseits von Identität“ mit Omri Boehm im Gespräch mit Frederek Musall: heute, 17 Uhr, Logensaal in den Hamburger Kammerspielen, Hartung­straße 9–11

Die Frage ist, welche Gesetze Autorität beanspruchen können und warum? Man erkennt schnell, dass nur ein Gesetz, das man sich selbst gibt, Autorität hat. Die Autorität als ungerechter Befehl, der von einer höchsten Macht wie Gott gegeben wird, destilliert die Frage des Universalismus. Ob dieser Text, der von Juden geschrieben wurde, aber Teil einer westlichen Tradition ist, da bin ich mir nicht sicher. Gleiches gilt für den jüdischen Philosophen Maimonides …

… der im 12. Jahrhundert in Ägypten und im einst muslimischen Teil der iberischen Halbinsel wirkte.

Trotzdem ist es wichtig zu betonen, dass es eine Tendenz gibt, etwas als universalistisch zu bezeichnen und es in einer Weise zu verwenden, die die Vorherrschaft des Westens bestätigt; einige Anwendungen des Begriffs der Menschenrechte können in diese Richtung gehen, ebenso bestimmte Formen des Liberalismus, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit.