Detlef Diederichsen
Böse Musik
: Barbie, Swifties: Werden Fans normal?

Foto: privat

Wenn alles Fantum ist, ist überhaupt irgendwas Fantum?“, fragte vor einigen Wochen die Musikerin, Autorin und Fan-Tum-Expertin Allegra Rosenberg in ihrem Text „Barbenheimer, The Eras Tour And The Rise Of The Normie Fandom“ für den (wärmstens empfohlenen) Netz-Newsletter „Garbage Day“.

Der Sommer von Barbenheimer und Taylor Swifts „Eras“-Tour ist für sie quasi der Kippmoment, wo Fantum endgültig aus den Niederungen der Nerd-Nischen in den Mainstream emporgeklettert ist. Es seien leidensfähige und oft verlachte Weirdos gewesen, die thematisch verkleidet für „Matrix“- oder „Harry Potter“-Tickets anstanden. „2023 erscheinen die strahlendsten TikTok-Girlies In ‚Barbie‘-Outfits und niemand ist peinlich berührt.“ Und während Taylor Swift nicht nur von den Zahlen her alles in den Schatten stellt, was es bei Beatlemania oder den Deadheads so gab, ist vor allem der Sozialdruck aus dem Mainstream, sich als „Swiftie“ zu bekennen, das Indiz, das für Rosenberg den Unterschied macht: „Um zur riesigen normativen weiblichen In-Group zu gehören, musst du einfach ein Swiftie sein oder zumindest auf Social Media klarmachen, dass du dazugehörst.“

Ist also Fan-Sein kein Außenseitertum mehr, keine Flucht mehr vor den Schmerzen des Alltags in die Wärme einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten, nicht dieser selbstgewählte Lebenssinn, den man vor der Öffentlichkeit gerne verbirgt, weil man sonst Gefahr liefe, sich rechtfertigen zu müssen bzw. gleich ausgelacht zu werden? Definieren sich deine Eltern, deine Lehrer*innen, deine Wahlkreis-Abgeordneten als Fans?

In der Tat scheint das Fantum der wichtigste Treiber in allen Gewerken geworden zu sein: Der Strom der Ölmilliarden in den Gierschlund des Sport-Business, die Wahlkampagnen von Bewerbern für politische Ämter, in denen es nur um Inszenierungen von Coolness, Memes und Merchandise geht, sind nur einige Hinweise. Schon längst versuchen alle Major Companies rund um den Planeten über kulturindustrielle Investitionen bei „den Kids“ zu „Kult“ zu werden, weil klassisches Marketing allein dazu nicht mehr ausreicht.

Wo sind die weirden Fans?

„Den Alltagskonsumenten für die menschlichen Freuden zu gewinnen, die Fantum mit sich bringt, ist ein vielversprechender Weg für diese Unternehmen, die Verrücktheit der Massen noch eine Weile für sich einzuspannen“, schreibt Allegra Rosenberg, die sich dennoch selbst als „full-on evangelist of fandom“ bezeichnet, denn „am Ende gewinnen immer die Massen“.

Obwohl ich diesen letzten Zusatz nicht nur angesichts der aktuellen weltpolitischen Entwicklungen stark in Zweifel ziehen würde: Nach wie vor geht im Fan-Universum nichts ohne die verführerische Exklusivität der Mikro-Fantümer. Dort sind die weirden, interessanten Fans. Und in digitalen Zeiten sind die der Behäbigkeit gesteuerter Kampagnen weit voraus.

So ließ sich etwa mein 15-jähriger Sohn altersgerecht über „Lego Ninjago“ und „Pokémon“ zu diversen Manga-Welten hinführen, bog dann aber via Ghibli-Filme und bei den einschlägigen Plattformen gefundene Clips, Streams und Posts zu japanischem Fusion-Jazz und City Pop der 1970-er Jahre ab. Mittlerweile hat er sich dort tief eingegraben und wir können leidenschaftliche Fachgespräche über Masayoshi Takanaka, Shigero Suzuki und die Sadistic Mika Band führen.

Detlef ­Diederichsen, Journalist und Musiker, lebt in Hamburg.

Eine kleine individuelle Verschrobenheit? Nein, eine immer breiter werdende Nische, wie etwa der Erfolg der „Pacific Breeze“-Compilations beweist. Mögen solche Phänomene auch ohne Auswirkung auf den Mainstream sein – man wird wenigstens nicht von ihm behelligt. Man wird von keiner Marke eingespannt. Es geht um die Sache. Und man bleibt unter sich.

Womit wir mal wieder bei der erstaunlichen Treffsicherheit sind, mit der Daniel Clowes 1991 in seinem Comic „The Future“ die Zeiten, die da kommen, beschrieb. Dort spricht der Herausgeber eines Newsletters für Leute, die, wie er selbst, Ministatuen von Abraham Lincoln aus Ohrenschmalz basteln: „Lach mich ruhig aus, aber wir sind Tausende!“