„Es gab Rauch, die Menschen rannten“

Russischer Angriff auf Tschernihiw kostet sieben Menschen das Leben. Kyjiw reagiert mit Drohnenangriffen

Nach dem russischen Raketenangriff auf das Zentrum der Stadt Tschernihiw in der Nord­ukra­ine mit 7 Toten und 148 Verletzten hat der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski eine entschlossene Reaktion angekündigt. „Unsere Soldaten werden Russland eine Antwort auf diesen Terroranschlag geben – eine spürbare Antwort“, sagte er am Sonntag.

Am Samstag gegen 11.30 Uhr Ortszeit war eine Rakete mitten im Stadtzentrum von Tschernihiw eingeschlagen, eine Großstadt im Nordosten der Ukraine. Sie traf am Hauptplatz der Stadt ein Theater, in und vor dem sich zahlreiche Menschen aufhielten, unter anderem Kirchenbesucher. Die russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti berichtete, der Angriff habe einem Treffen von Drohnenspezialisten der ukrainischen Streitkräfte gegolten. Nach Angaben der ukrainischen Nachrichtenseite Euromaidan fand in dem Theatergebäude eine öffentliche Leistungsshow ukrainischer Drohnenhersteller statt. Die meisten Menschen im Theatergebäude konnten sich nach dem Luft­alarm rechtzeitig in den Keller flüchten, aber für viele andere, vor allem draußen, kam der Alarm zu spät. Insgesamt wurden 7 Menschen getötet und 148 Menschen verletzt, wie Tschernihiws Regionalgouverneur Wjatscheslaw Tschaus am Sonntag mitteilte. Seinen Angaben zufolge wurden „mehr als 500 Häuser“ beschädigt.

„Es gab Rauch, Schreie, die Menschen rannten, weinten, stöhnten. Wir sind zum Schutzraum gerannt, als alles passierte, und haben uns dort hingesetzt“, sagte die 24-jährige Barkeeperin Iryna. „Ich stehe immer noch ein wenig unter Schock, denn so was ist schon lange nicht mehr passiert.“ Ukrainischen Berichten zufolge war unter den Toten auch ein sechsjähriges Mädchen, deren Vater an der Front kämpft und deren Mutter im Krankenhaus liegt.

„Es ist abscheulich, den Hauptplatz einer großen Stadt am Morgen anzugreifen, während die Menschen spazieren gehen, einige in die Kirche gehen“, erklärte die humanitäre UN-Koordinatorin für die Ukraine, Denise Brown.

Tschernihiw liegt rund 150 Kilometer nördlich von Kyjiw in Richtung der Grenze zum mit Russland verbündeten Belarus. Russische Streitkräfte waren zu Beginn des Kriegs im Februar 2022 durch Tschernihiw marschiert und wurden dann zurückgedrängt. Anders als der Osten und der Süden der Ukraine blieb der Norden seitdem von heftigen Kämpfen verschont. Doch immer wieder kommt es trotzdem zu russischen Angriffen auf zivile Ziele. Im Gebiet Sumy wurden allein am Samstag 26 Ortschaften angegriffen, berichteten offizielle ukrainische Stellen.

Laut ukrainischen Berichten war unter den Toten auch ein sechsjähriges Mädchen

Die Ukraine revanchierte sich für das Bombardement mit Angriffen auf militärische Ziele, die tiefer innerhalb Russlands liegen als die bisherigen. So wurde bei einem Drohnenangriff auf einen Militärflugplatz in der Region Nowgorod nordwestlich von Moskau nach russischen Angaben ein Militärflugzeug beschädigt. Auch das Dach eines Bahnhofs von Kursk rund 90 Kilometer hinter der Grenze wurde von einer Drohne getroffen, hieß es.

Bei der laufenden ukrainischen Offensive im Süden des Landes macht die Ukraine unterdessen weiter Boden gut. Nach Einnahme des Dorfes Urozhaine im östlichen Bereich der Südfront rücken ukrainische Truppen weiter nach Süden vor. Weiter westlich haben sie die Stadt Robotyne fast vollständig unter Kontrolle gebracht und zielen jetzt auf den Eisenbahnknotenpunkt Tokmak. (afp, rtr, taz)