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Illustration religiöser Pathosformeln

Die Bühne wird beherrscht von einem in Licht getauchten, blumengeschmückten „Felsen“. Daniel Goldins Tanzabend „besloten hofjes“ in Münsters Großem Haus läuft nicht nur Gefahr, in Kitsch abzugleiten – er erreicht ihn am Ende auch

Das „Paradies“ ist ein verschlossener, ummauerter Ort: hortus conclusus. Es galt ursprünglich als herrschaftlicher Park im antiken Persien. Dieses Vorbild floss als „Garten Eden“ in die Bibel ein, aber auch als „Liebesgarten“ ins Hohelied Salomos. Es diente realen Gärten in Mittelalter und früher Neuzeit als Vorbild, aber auch kunstvollen Reliquienschreinen, niederländisch: „besloten hofjes“. Die inspirierten Daniel Goldin zu seiner gleichnamigen neuen Choreografie im Großen Haus in Münster – umjubelt bei der Premiere, aber dennoch eher misslungen.

Die Bühne wird beherrscht von einem in farbiges Licht getauchten, blumengeschmückten „Felsen“ mit Treppen, Mauerruinen und einem Reliquienschrein. Auf dem Gipfel steht ein kruzifixartig verdorrter Baum, später schwebt ein eisernes Gittertor herab. Das soll wohl die Umsetzung eines solchen „besloten hofje“ sein, erinnert aber auch an Orte lateinamerikanischer Volksfrömmigkeit. Vor allem aber ist der Anklang an sakrale Gebirgslandschaften Caspar David Friedrichs überdeutlich. Was für die Bühne gilt, trifft auf die gesamte Choreografie zu. Sie beschränkt sich weitgehend auf eine Illustration religiöser Pathosformeln. Dabei hätte in dem Thema auch die Beschäftigung mit Geschlechter- und Naturverhältnissen oder mit religiösen Herrschaftsformen gesteckt. Aber das Analytische oder ironisch Gebrochene ist nie die Sache Goldins gewesen. Dabei gelingt es durchaus, die Wurzeln europäischer christlicher Kultur im orientalischen und mediterranen Raum musikalisch plausibel zu machen, wenn beispielsweise gregorianische Gesänge von traditionellen indischen Rhythmen überlagert werden. Auch gibt es einige vorzügliche tänzerische Passagen: zäh schaukelnde Bewegungen, festgeklebt in Vergeblichkeit. Die Präsenz und physische Leistung des Ensembles ist auch in diesem Stück herausragend.

Der choreographische Versuch aber, Sinnbilder des „Paradieses“ oder des “Absterbens“ und „Aufblühens“ des Lebens zu inszenieren, produziert überwiegend Erwartbares. Da schlängeln sich Figuren am Boden, lässt eine Frau einen Apfel fallen, eine andere tanzt mit Knochen in den Händen, es gibt angedeutete Kreuzigungsgesten, eine Grablegung und immer wieder werden Blumen gesteckt. Die Dominanz des Abbildenden läuft Gefahr, in Kitsch abzugleiten. Der ist spätestens am Ende erreicht, wenn „glühende Funken“ in rotem Licht auf TänzerInnen und Berg herunter schweben.

MARCUS TERMEER

Theater Münster15. Juni, 19:30 Uhr

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