Touristische Attraktion Apartheid

Tourismus als Therapie: In Kapstadt ergründen Einheimische und Besucher die Geschichte der Rassentrennung –im District Six, in der Township Langa und auf Robben Island. Die Apartheid ist Geschichte, die Townships sind geblieben

VON STEPHANIE BISPING

Ein kleiner Junge steht auf einem Dach und ficht mit einem unsichtbaren Gegner. Seine Gestalt ist das Einzige, was aus der Ebene niedriger Blechhütten herausragt. Die Häuser und Hütten in den Townships durften zu Zeiten der Apartheidpolitik nicht höher gebaut werden als die Zäune ringsum. Zu groß war die Angst, die Weggesperrten nicht kontrollieren zu können. Einen Eingang und einen Ausgang hatten die Townships. Gab es Unruhen, schloss man sie.

Die Apartheid ist Geschichte, die Townships sind geblieben: endlose Reihen von Hütten für die schwarze, kleine Häuser in den Siedlungen für die „farbige“ Bevölkerung. Als Substanz gewordenes schlechtes Gewissen der Weißen säumen sie die Ausfahrten aus Kapstadt, der schönen Stadt am Ende Afrikas. Schockiert sei sie gewesen, als sie bei einem Au-Pair-Jahr in Deutschland den Hollywood-Film „Schrei nach Freiheit“ sah, erzählt Christel, eine junge Fremdenführerin aus dem südafrikanischen Lüneburg, deren deutschstämmige Familie in vierter Generation im Land lebt. Der Film erzählt die Geschichte von Steve Biko, dem Führer der „Black Consciousness“-Bewegung, der nach seiner Verhaftung 1977 an den Folgen eines „Verhörs“ starb. Man habe das – zumal auf dem Land – gar nicht alles mitbekommen.

Christel, die zur Zeit von Mandelas Haftentlassung 1989 vierzehn Jahre alt war, steht auf den Stufen vor dem „District Six“-Museum. Es dokumentiert die Geschichte eines Viertels Kapstadts, das seiner gemischten Bevölkerungsstruktur wegen vom Apartheid-Regime Ende der 60er-Jahre umgesiedelt – eine jede Bevölkerungsgruppe in die ihr zugeteilten Gebiete – und planiert wurde. Nur Kirchen und Moscheen blieben und ragen merkwürdig isoliert aus dem Acker am Hang, der einstmals eine Art afrikanisches New York war – voller Jazzclubs, Bars und lebhafter Straßen, die Menschen unterschiedlicher Herkunft bevölkerten.

Tariek Hendrichse, Sohn eines Schotten und einer schwarzen Südafrikanerin, erörtert im Vorfeld seiner Führung durch die Township Langa „verschiedene Typen von Farbigkeit“ und die Privilegien und Diskriminierungen, die zur Zeit der Apartheid mit ihnen verbunden waren. Langa wurde für 80.000 Menschen angelegt, heute leben hier 250.000. Tariek zeigt den Besuchern unterschiedliche Abstufungen von Armut. Kooperierende Bekannte öffnen ihre Türen und lassen die Gäste in ihr Leben schauen. Zwei Zimmerchen und eine Schlafecke unter freiem Himmel hatte das alte Regime für eine schwarze Familie vorgesehen. Früher mussten die Bewohner dem Staat Miete zahlen, seit 1996 gehören ihnen die Häuser. Ein Fernseher, eine Küchenecke mit Spüle und Gaskocher und ein Vitrinenschrank komplettieren die Einrichtung des Hauses.

Die Besucher stehen ratlos auf dem Lehmboden und kommen sich inmitten fremder Intimität sehr deplatziert vor. Verlegen betrachten sie die glatt gestrichene Tagesdecke auf dem Bett und ein sorgfältig gemaltes Datum in einem Rahmen an der Wand: „Als du starbst, hörte mein Leben auf“, steht darunter. Aus der benachbarten Kaschemme dröhnt Musik in Konzertlautstärke. Innen sitzen Männer um einen Billardtisch. Wenn sie sich durch die Fremden gestört fühlen, lassen sie es sich zumindest nicht anmerken.

Sheila Mahloane hat ihre eigenen Schlüsse aus dem Township-Tourismus gezogen. „Als 1996 die ersten Busse kamen, sah ich, wie die Leute durch die Scheiben fotografierten und dann wieder ins weiße Kapstadt fuhren. Ich dachte: Warum lässt man die nicht aussteigen? Warum lässt man sie nicht hier ihr Geld fürs Mittagessen ausgeben?“ Gerade hat Sheila zusammen mit ihrer Schwester Monica und einem Geschwader von Helferinnen ein opulentes Buffet aufgetragen. Nun erzählt sie ihre Geschichte: Wie sie als Hausmädchen für vier Junggesellen arbeitete. Wie sie sich das ganze Jahr plagte, für 40 Rand im Monat. Als sie eines Tages eine herumliegende Hose ausschüttelte und die Quittung eines Restaurants herausfiel, sah sie, dass ihre Arbeitgeber am Abend so viel für einen Imbiss ausgegeben hatten, wie sie ihr im Monat zahlten. Den Ausweg sah Sheila in der Selbstständigkeit. 1999 eröffnete sie – längst im Rentenalter – in ihrem Haus in Langa das Restaurant „Lelapa“. Für ihre Küche sind Sheila und Monica mehrfach ausgezeichnet worden, das Geschäft blüht.

Neun Kilometer vor Kapstadts strahlend bunter Wasserfront aus Restaurants und Geschäften liegt Robben Island, die Gefängnisinsel des Apartheid-Regimes. Dass die einstigen Gefangenen nun als Fremdenführer agieren, ist symbolhaft für die Politik der Versöhnung. Für die Exhäftlinge ist der Tourismus Therapie: „Ich erzähle meine Geschichte jeden Tag, die Leute stellen Fragen, zeigen Mitgefühl oder auch nicht“, sagt Sbaks, der hier – noch als Teenager wegen Waffenbesitz und Mitgliedschaft in einer militanten Organisation verhaftet – fünf Jahre lang als Nummer 583 geführt wurde. „Abends sitzt man mit den anderen zusammen und spricht über die Erlebnisse hier und wie sich die Dinge geändert haben. Und wenn man selbst die Türen öffnet und schließt, ist dies auch kein Gefängnis mehr.“

Es ist fast ein Nationalmuseum. Am Wochenende stellen schwarze Südafrikaner die Mehrheit der Besucher. Sie lassen sich vor der Zelle im Hochsicherheitstrakt fotografieren, in der Nelson Mandela als Insasse 466/64 achtzehn seiner 27 Jahre Haft barfuß und in kurzen Hosen verbrachte, und vor dem Baum im Hof, unter dem er das Manuskript seines Buchs „Der lange Weg zur Freiheit“ versteckte.

Die Besucher hören sich an, wie die Gefangenen bei ihrer Ankunft ausgezogen und ihnen der Kopf geschoren wurde; wie es dann für 24 Stunden in Einzelhaft ohne Wasser ging; wie es im Winter tagelang durch die scheibenlosen Fenster regnete. Es gab Häftlinge auf Robben Island, die 15 Jahre lang von der Außenwelt abgeschnitten waren – ohne Brief, ohne Besucher.

1989 begannen die Entlassungen. Sechs Jahre später trafen sich die ehemaligen Gefangenen auf Robben Island. Mandela legte im Steinbruch einen Stein nieder als Zeichen, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Die anderen taten es ihm nach. Den Steinhaufen fotografieren heute Touristen.