: Die letzte Möglichkeit zu handeln
Das Campus-Kino an der Stasi-Zentrale zeigt Spielfilme und Dokumentationen über die DDR, umsonst und draußen
Von Oğulcan Korkmaz
„Willkommen zum Campus-Open-Air-Kino im November!“ So eröffnet der Moderator den Filmabend an der ehemaligen Stasi-Zentrale. Viele lachen. Es ist tatsächlich sehr windig, und wenn nicht alle sitzen würden, wären die Plastikstühle längst weggefegt worden. Einmal im Jahr veranstaltet das Stasi-Unterlagen-Archiv eine kostenlose Open-Air-Kino-Reihe mit dem Fokus auf die DDR-Vergangenheit und deren Aufarbeitung. Eigentlich im Sommer.
Das Programm beginnt am Montag mit dem Spielfilm „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ von Aelrun Goette, die für eine Fragerunde anwesend ist. Ihr Film handelt von der Studentin Susanne, die zur Arbeit in einem Kabelwerk von der Volkspolizei abgeordnet wird, nachdem bei ihr „1984“ von George Orwell gefunden wurde. Glück im Unglück. Susanne wird auf dem Weg zur Arbeit von einer Fotografin entdeckt und beginnt eine Karriere als Mannequin.
Fashion in der DDR ist ein spannendes Setting, dennoch tut sich der Film damit schwer, dieses komplett auszuschöpfen. Der DDR-Obrigkeitsstaat gerät im Verlauf immer mehr in den Hintergrund, der Film hätte genauso gut in Westdeutschland spielen können. Die Situationen, bei denen die DDR eine Rolle spielt, sind größtenteils eingeschobene Verhöre der Stasi, die forcierte Konflikte zwischen den Charakteren entstehen lassen. Visuell schafft es der Film aber, die magische Modewelt im Kontrast zu den kalten und erbamungslosen Fabriken, in denen sich Susanne wiederfindet, darzustellen. „In einem Land, das es nicht mehr gibt“ war ein sanfter Einstieg ins Campus-Kino.
Die am Dienstag präsentierte Arte-Dokumentation „Stalin – Leben und Sterben eines Diktators“ ist auch in der Arte-Mediathek zu finden und empfehlenswert für alle, die mehr über die Biografie Stalins erfahren wollen. Die Dokumentation ist im Stil einer Graphic Novel dargestellt. Das ist eine interessante Methode, die visuell jedoch nicht beeindruckt und eher an ein Videospiel erinnert. Ihr Thema behandelt sie nüchtern und ernst. Filmisch viel interessanter setzt dieses Thema Armando Iannuccis schwarze Komödie „The Death of Stalin“ um, die mit düsterem Humor dasselbe wie die Doku erzählt.
Treffen sich ein Jude und ein Nazi in einem Zug in die DDR, das könnte der Beginn eines Witzes von Slavoj Žižek sein, dabei handelt es sich um den Höhepunkt der ersten Woche Campus-Kino, nämlich um den Film „3 ½ Stunden“. In einem Zug befinden sich unterschiedliche Charaktere, die auf dem Weg von München nach Ost-Berlin sind und – es ist der 13. August 1961 – erfahren, dass die DDR dabei ist, eine Mauer zu bauen. Es ist die letzte Möglichkeit zu handeln, steigt man aus oder bleibt man im Zug? Ein perfektes Rezept für ein Kammerspiel.
Im Zug finden mehrere Konfrontationen zwischen Wessis und Ossis, Detektiv und Turner und auch Juden und Nazis statt. Vielleicht ein bisschen zu viel Konfrontation, manche Charaktere hätte man zugunsten spannenderer streichen können. Auch die Musikeinlagen von Alli Neumann wirken deplatziert.
Die Spannung wird dadurch erzeugt, dass die Personen Entscheidungen treffen müssen: DDR? Oder BRD? Was spricht für den einen, was für den anderen Staat? Macht es einen Unterschied? Ein schwules Paar in der DDR stellt diese Entscheidung vor ein existenzielles Problem: Im Westen droht ihnen eine Freiheitsstrafe, aber sie wollen auch nicht in einem Staat leben, der sie ebenfalls einsperrt. Diese inneren Konflikte treiben „3 ½ Stunden“ voran. Passend zum Film war ein Fluchthelfer aus Westberlin im Campus-Kino zu Gast, dessen Geschichten über die Fluchtversuche aus der DDR ein melancholisches Gefühl hinterließen.
Die Reihe bietet ein diverses und sorgfältig kuratiertes Programm mit interessanten Gästen. Am 31. August findet die letzte Open-Air-Veranstaltung statt. Bis dahin spielt hoffentlich das Wetter mit.
Campus-Kino Stasi-Zentrale, bis 31. August, Mo., Di. und Do. 19.30 Uhr
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