berliner szenen
: Cheers und Chakra für 2 Euro

Gestern traf ich mich mit Maria auf ein Feierabendbier, was erfahrungsgemäß schnell mal mehr werden können. Als wir beim zweiten Bier waren, stand plötzlich eine Frau an unserem Tisch. Sie war schon älter, 60 Jahre vielleicht, trug ein helles Tuch um den Kopf, einen langen wallenden Rock und eine Stoffmaske mit Leopardenprint. Mein Blick blieb an einem goldenen Bilderrahmen hängen, den sie in ihren Händen hielt. Darin lagen kleine bunte, selbst gebastelte Kärtchen. Bestimmt eine Wahrsagerin, dachte ich mir und wollte schon ihre Dienste ablehnen, als die Frau uns erzählte, dass sie seit den 2000ern diese Kärtchen basteln würde. Sie habe sie schon an vielen Orten auf der Welt verteilt. Auf den bunten Karten waren Lotusblüten in Gold abgebildet. Jede Farbe würde für etwas stehen, sagte sie uns. Wir dürften uns, wenn wir wollten, eine Karte aussuchen. Die Unterrichtung sei kostenlos. Sollten wir die Karten behalten wollen, würden sie jeweils zwei 2 kosten.

Ich schaute zu Maria, wir nickten uns zu. Ich entschied mich für eine Karte in Türkis, die ich aber aufgrund meiner Rot-Grün-Schwäche als Grau-Lila wahrnahm. Und Maria für eine in echtem Lila. „Sehr gute Wahl“, meinte die Frau verschwörerisch und begann, die Farben zu deuten. In Türkis wären Gelb, Grün und Blau enthalten. Gelb stünde für Weisheit, Sonnenlicht und Wärme. Grün für Hoffnung, Heilung, Frieden, Freiheit, Harmonie und universelle Liebe. Und Blau für Intelligenz, Kreativität und Kommunikation. Ich zögerte nicht lange und sagte: „Okay, nehm ich.“ Marias Karte stand für Spiritualität, Erleuchtung und Loslassen – ihr Kronenchakra. „Auch gut“, sagte sie. Wir gaben ihr 4 Euro. Auf dem Nachhauseweg stolperte Maria über einen Pflasterstein. War das vielleicht schon das Loslassen, wovon die Frau sprach? Eva Müller-Foell