Diva mit kahlgeschorenem Schädel

In ihrer Kunst prangert Kathrina Karrenberg Gewaltstrukturen an. Im Lichtenberger Ausstellungsraum After the Butcher sind Zeichnungen aus drei Jahrzehnten zu sehen

Von Peter Nowak

Die Porträts der neun migrantischen Opfer des rassistischen Amoklaufs in Hanau vom 19. Januar 2020 waren in den vergangenen Jahren auf vielen Hauswänden zu sehen. Solidarische Menschen wollten auf diese Weise an Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov erinnern. Jetzt hängen sie im Lichtenberger Ausstellungsraum After the Butcher.

Der Projektraum für engagierte Gegenwartskunst gibt einen Überblick über das vielseitige Werk der Berliner Künstlerin Katharina Karrenberg, kombiniert dieses mit Arbeiten des in Paris geborenen Künstlers Olivier Guesselé-Garai, der in seinen Installationen Alltagsgegenstände neu zusammensetzt.

Im Mittelpunkt stehen Karrenbergs Zeichnungen aus drei Jahrzehnten. Das sei durchaus auch eine Selbstkritik, betont die Künstlerin im Gespräch mit der taz. Da sehen wir beispielsweise das Gesicht einer Frau mit kahlgeschorenen Schädel, die Künstlerin bei einer Performance im Jahr 1992, bei der sie sich als Diva inszenierte. Im Ausstellungskatalog setzt sich die Künstlerin kritisch mit dem Kult um Diven auseinander: „Das Divinatorische – das Auserwählte – das Privilegierte rumort als Pendant zur Exklusivität und zu den Privatrechten des Adels als überlebte gesellschaftliche Formation stets abrufbar als Phantom in den unteren Schubladen der Künste“, formuliert Karrenberg eine Fundamentalkritik am Kulturbetrieb.

Sie habe in ihrer Arbeit immer auch einen politischen Anspruch formuliert, ohne dabei ins Propagandistische abzugleiten, erklärt sie. Karrenbergs Zeichnungen geben Einblick in den philosophischen Kosmos der Künstlerin und machen ihren kritischen Blick auf Herrschaft und Gewalt in den unterschiedlichen Formen deutlich.

So zeigt eine Tafel ein Porträt des französischen Sprachwissenschaftlers Jean-François Champollion, der im 19. Jahrhundert durch die Entschlüsselung der altägyptischen Hieroglyphen, mit denen die Gräber der Pha­rao*­in­nen verziert waren, bekannt und daraufhin in den Pariser Salons als Bezwinger der Sphinx gefeiert wurde. Auf Karrenbergs Zeichnung steht Champollion mit einem Fuß auf dem Kopf eines Pharaos, wie ihn ein Bildhauer in einer Skulptur verewigt hat, die noch heute im Hof des Collège de France in Paris zu sehen ist – für Karrenberg ein Hinweis auf den bis heute nicht überwundenen Kolonialrassismus.

Es folgen Tafeln mit den bereits erwähnten Gesichtern der Opfer der rassistischen Gewalt von Hanau sowie dem Konterfei von Oury Jalloh, der am 7. Januar 2005 an Händen und Füßen gefesselt in einer Dessauer Polizeizelle verbrannt ist.

Im vorzüglich gestalteten Katalog dokumentiert Karrenberg 315 Opfer rechter Gewalt in Deutschland seit 1945, die sie nach Tatorten aufgeschlüsselt hat. Die Opfer eines Brandanschlags in Kandel im Jahr 2003 sind ebenso aufgeführt wie die weitgehend vergessenen Namen der acht Juden, die nach einen Brandanschlag auf das Altenheim der Israelischen Kultusgemeinde in München am 13. Februar 1970 gestorben sind. Karrenberg entreißt die Toten mit ihrer Arbeit dem Vergessen. Doch die Künstlerin will nicht nur die Zustände beklagen, sondern zum Handeln auffordern: Gewaltstrukturen liegen nicht irgendwo unerreichbar und unwandelbar herum, sondern greifen aktiv in unseren täglichen Umgang mit Menschen, Tieren und Dingen ein und sind damit auch aktiv veränderbar.“ Zurzeit arbeitet sie an einen Buch, das sich mit Geschichte und Gegenwart des Kolonialismus befasst. Es soll den Titel „Dekoloniale Gef(l)echte“ tragen.

„Encore un effort 2023 an effort again“: Katharina Karrenberg und Olivier Guesselé-Garai, After the Butcher. Bis 13. August, nach Voranmeldung mailto@after-the-butcher.de. Finissage: 13. August, 15–18 Uhr, 17 Uhr Performance von Katharina Karrenberg