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: „Junge Menschen brauchen erst einmal eine Orientierung statt einer durch Drill geprägten Ausbildung an der Waffe“

Eine Lesung macht auf einen nicht nur ästhetisch problematischen Gedenkstein für einen Hamburger Kindersoldaten aufmerksam. Er starb bei den Luftangriffen 1943

Interview Benno Schirrmeister

taz: Frau Gottschalk, war ein 16-jähriger Flakhelfer ein Kindersoldat?

Andrea Gottschalk: Das ist eine schwierige Frage.

die UN-Kinderrechts-Konvention zieht die Grenze bei 15 Jahren …

Ja, aber die UNICEF nennt jeden Menschen im Alter von unter 18 Jahren einen Kindersoldaten. Ich habe diesen Begriff für die Lesung, die sich auf den Gedenkstein für einen 1927 geborenen Luftwaffenhelfer bezieht, aufgenommen, weil ich der Meinung war: Dieser Jahrgang hätte nicht in den Krieg gehört. Es mag sich bei den Betroffenen um Jugendliche gehandelt haben. Aber sie waren auf dem Wege von der Kindheit ins Erwachsenwerden. Sie hätten nicht als Ersatz für erwachsene Soldaten im Krieg eingesetzt werden dürfen.

Angesichts des aktuellen Bundeswehr-Trends Minderjährige zu rekrutieren: Wo läge denn eine sinnvolle Altersgrenze dafür?

Eine interessante Frage, mit der ich mich auch erst durch meine Nachforschungen zu dem Gedenkstein anfange zu beschäftigen. Wenn ich als Lehrerin daran denke, in welcher Verfassung ich meine Schülerinnen und Schüler entlassen habe, finde ich einen Kriegsdienst oder auch nur die Vorbereitung darauf in dem Alter problematisch. Ich hatte den Eindruck, diese jungen Menschen brauchen erst einmal eine Orientierung und eine Stärkung ihres Demokratiegefühls – und nicht eine durch Drill geprägte Ausbildung an der Waffe.

Foto: privat

Andrea Gottschalk

Jahrgang 1953, hat bis zu ihrer Pensionierung als Lehrerin Geschichte, Deutsch und Theater unterrichtet.

Der junge Mann, auf den Ihre Lesung eingeht, war kein Einzelfall, hat aber einen Gedenkstein erhalten, auf den Ihre Lesung eingeht. Was ist das Besondere an dem?

Es stimmt, er war kein Einzelfall: In Hamburg sind tatsächlich die kompletten Jahrgänge 1926/27 der Oberschulen eingezogen worden. Der Gedenkstein ist insofern etwas Besonderes, als er als Teil der Grünanlage gepflegt wird und völlig unkommentiert dort steht. Es war nicht so leicht in Erfahrung zu bringen, wer ihn aufgestellt hat: Es war ein Unteroffizier und Bildhauer, der bei derselben Flak-Einheit war. Er ließ dort, vermutlich kurz nach dem Krieg, diesen Stein setzen – der an zwei Männer und eben diesen Jugendlichen erinnert, die beim selben Einsatz umgekommen sind.

Warum vermutlich kurz nach dem Krieg?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass noch während des Krieges irgendwelche Gedenksteine aufgestellt worden wären. Zugleich ist er sehr der Sprache und der Ästhetik der Nazi-Zeit verhaftet. Deswegen bräuchte er meines Erachtens auch dringend eine Kommentierung.

Gibt’ s dafür einen Anlass?

Lesung: Für Deutschland fielen ...? Lesung für einen Kindersoldaten im Rahmen des Ohlsdorfer Friedensfests: 6. August, 12 Uhr, Ohlsdorfer Friedhof, Mittelallee, Sammelgräber

Keinen konkreten: Ich wohne seit über 35 Jahren in St. Georg und der Stein war mir bis vor wenigen Jahren nie aufgefallen. Als ich ihn dann bemerkte, habe ich festgestellt: Das war ein Kind, ein Jugendlicher, der hier ums Leben gekommen ist – und habe, ausgehend von diesem Themenkomplex zu den Flakhelfern und Kindersoldaten recherchiert.

Und das führte zur Lesung?

Auf einer Tagung zum Umgang mit Kriegs- und Kriegerdenkmälern in Norddeutschland habe ich in einem Workshop die Anregung erhalten, erst einmal mit kleinen Aktionen die Aufmerksamkeit für problematische Gedenksteine zu wecken. Dabei entstand die Idee, meine Nachforschungen zu einer Lesung herunterzubrechen, die den Menschen in den benachbarten Stadtteilen deutlich macht, dass hier dieser unkommentierte Stein steht, der eine Erklärung fordert. Inzwischen hat der zuständige Regionalausschuss seine grundsätzliche Zustimmung zur Aufstellung einer kommentierenden Tafel noch in diesem Jahr gegeben. Wir arbeiten gerade am Text.