Im Kreuzen der Linien

Gelungenes Tanzstück: Die Choreografin Riki von Falken stellte „Eine Begegnung unter Ungleichen“ vor

Am Anfang, wenn das Publikum noch mit sich selbst beschäftigt in die große Ausstellungshalle der Akademie der Künste drängelt, dauert es eine Weile, bis man die drei Tänzer am anderen Ende des Raumes bemerkt: ebenso unruhig und um sich kreisend, mit kleinen Schritten und vielen Anstößen, die aus den Gelenken der Schultern, Hände und Ellbogen kommen. Tim Petersen löst sich als Erster aus dieser Gruppe. Die Zeit, die er braucht, um langsam, ein Bein nachziehend und einen verkürzten Arm eng am Körper haltend, den großen Raum zu durchqueren, wird zum Maß für das Wachsen der Konzentration. Aufmerksamkeit generieren, den Fokus verengen und dann das Feld der Beobachtung wieder weit aufziehen, dass der Blick des Zuschauers wie ein Kameraauge hin- und herschwenken muss: Das ist es, was in dem Tanzstück „Eine Begegnung unter Ungleichen“ von der Choreografin Riki von Falken so besonders gut gelingt.

Am Ende will man kaum glauben, dass es aus ist. Da hat eine Live-Videoprojektion auf die Wände der Akademie die Tiefe des lichten Raums gesteigert und die beiden Tänzerinnen Friederike Plafki und Riki von Falken, die sich leibhaftig vor uns drehen, vervielfältigt und verkleinert. Sie passten fast in die Hände von Tim Petersen, die sich in Nahaufnahme darüber blenden. Ein so verführerisches Bild, dass man gern länger zusehen möchte, aber das Stück erlaubt dieses Gleiten zwischen dem Real- und dem Illusionsraum nur für kurze Zeit. Musik setzt wieder ein, leise und wie von fern, und während man noch auf darauf wartet, dass sich jetzt alle Energien, deren Bahnen sich zuletzt weit auseinander dehnten, noch einmal bündeln, ist plötzlich Schluss. Das Licht geht aus. Und schnell versucht die Erinnerung festzuhalten, was sich schon wieder entzieht.

Riki von Falken, die man seit 1990 nur noch in Solostücken sah, hat endlich ein Gruppenstück gewagt. Die Zusammenarbeit mit Tim Petersen, einem Darsteller des Thikwa-Ensembles, und der jungen Tänzerin Friederike Plafki, die ab August der Compagnie von Sasha Waltz angehört, hat sich gelohnt. All die Intensität und Schärfe der Beobachtung, all die Leichtigkeit und Eleganz der Bewegung, die Riki von Falken über Jahre weiterentwickelt hat: All dies wird hier widergespiegelt, variiert und potenziert. Zugleich ist dieses Stück für drei spielerischer als alles vorausgegangene, eine Befreiung aus der Verengung der Selbsterforschung. Diese Bewegung des Aufbruchs findet sich wieder in dem Gegensatz zwischen den kleinen, farbig markierten Feldern, wo die drei Tänzer immer wieder Position beziehen, und der Weite der Halle.

Das Stück lebt auch aus der Reflexion der ästhetischen Mittel, die nie den Effekt und das Dekorative will, sondern für alles nach der Notwendigkeit fragt. Wie greift diese Ausdehnung der Bewegung in die Wahrnehmung der Tänzer untereinander ein, was verlangt jene Streuung der Aktionen vom Betrachter? Diese Ökonomie der Mittel ist wohl tuend, ein Reinigungsbad der Sinne, das aber zugleich das Lustvolle der Bewegung, die allmähliche Aneignung des Raums umso wacher miterleben lässt.

Für Riki von Falken war ein Ausgangspunkt, die Begegnung zwischen Behinderten und Nichtbehinderten zu befragen: Wie die Wahrnehmung des einen für die Sicht auf das andere einen neuen Rahmen setzt. Petersen verwandelt den Tanz der anderen. Er lässt einerseits sichtbar werden, welche Mühe und Arbeit für ihn in der Teilnahme steckt und wie doch zugleich neues Terrain dabei gewonnen wird. Oft verschränkt sich sein Raum- und Bewegungsmaß mit dem der beiden Frauen. Dann entsteht im Kreuzen der Linien ein so vielseitiges Muster, als wären nicht nur drei, sondern viel mehr in diesen Verkehr verwickelt. Schade nur, dass „Eine Begegnung zwischen Ungleichen“ erst mal auf drei Aufführungen beschränkt war. Man wünscht dem Stück eine Zukunft. KATRIN BETTINA MÜLLER